»Die unersetzliche Rolle der Zivildiplomatie«

Die Pugwash-Konferenz debattiert in Berlin über die brennendsten Konflikte der Welt

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Die weltweit kompliziertesten Konfliktherde der Gegenwart standen am Wochenende auf der Agenda der 59. Pugwash-Konferenz in Berlin. Dabei wurde vor allem eines deutlich: Friedliche Lösungen für den Nahen Osten oder Afghanistan erfordern viel Geduld.
Europas Beitrag zur nuklearen Abrüstung und Konfliktlösung war Thema auf der 59. Pugwash-Konferenz in Berlin.
Europas Beitrag zur nuklearen Abrüstung und Konfliktlösung war Thema auf der 59. Pugwash-Konferenz in Berlin.

Sind die Sanktionen gegenüber Iran sinnvoll? Warum erkennt Israel Palästina nicht einfach an? Wie kann Afghanistan endlich zur Ruhe kommen? Im Auswärtigen Amt wurden am Wochenende explosive Fragen diskutiert. Und doch war die Atmosphäre ruhig. Jedem Redner wurde aufmerksam zugehört. Allein die Zeit war gelegentlich knapp für die vielfältigen Sachverhalte, Meinungen, Fragen.

»Immer hört der Iran erst das Wort Sanktionen und dann Verhandlungen«, kritisierte etwa Ali Asghar Soltanieh, iranischer Repräsentant in der Internationalen Atomenergiebehörde. Die Demütigung sei groß und das koloniale Verhalten des Westens müsse endlich aufhören. Und: »Die Sanktionen konnten die nuklearen Aktivitäten Irans nicht verhindern.«

Sein US-amerikanischer Podiumspartner, der Pugwash-Vertreter Steven Miller, gestand ein, dass Washingtons Sanktionspolitik gescheitert sei. Pugwash-Generalsekretär Paolo Cotta-Ramusino wies darauf hin, dass das Teheraner Atomprogramm erst durch den Streit zu etwas wurde, womit sich die Iraner identifizieren können. Auch wenn Iran als potenzieller Proliferator gelte und bislang keine Lösungen in Sicht seien, dürfe kein Land diskriminiert werden. »Wir sprechen immer über die Gefahr, die von Iran ausgeht. Aber natürlich haben die Menschen im Mittleren Osten auch Angst vor europäischen Nuklearwaffen.« Er appellierte an Europa, alte Denkstrukturen aufzugeben

Zum 59. Mal brachte die Pugwash-Konferenz die unterschiedlichsten Konfliktpartner zusammen. Beispiel Afghanistan: »Hier sitzt die afghanische Regierung mit Vertretern der Taliban und der Zivilgesellschaft an einem Tisch«, erklärte Reiner Braun, Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW). Diese Diskussions- und Dialogkultur sei eine große Errungenschaft von Pugwash und mache die Konferenzen einzigartig. Neben den großen öffentlichen Treffen gebe es viele kleine Diskussionszirkel und Flurgespräche. Pugwash baue auf die »unersetzliche Rolle der Zivildiplomatie«.

Am Samstagmittag stand der Nahost-Konflikt auf der Tagesordnung. Der palästinensische Diplomat Husam S. Zomlot warf Israel vor, den jetzigen Status Quo nur erhalten zu wollen, weil es davon profitiere. Er forderte Europa auf, einen gewaltlosen Weg zu unterstützen und im September bei der UNO für die Ausrufung des Staates Palästina zu votieren. Avishay Braverman, ehemals israelischer Minister für Minderheiten, erklärte dagegen, dass Israel eine Eskalation der Gewalt fürchte, wenn es zu einer Anerkennung Palästinas komme. Er sprach von großen Irrtümern der israelischen wie der palästinensischen Führung. »Wir haben immer an große Dinge geglaubt, an den großen Frieden. Aber wir müssen lernen, dass es nur Schritt für Schritt geht.«

Auch Reiner Braun weiß, dass das Streben der Pugwash-Konferenzen nach Friedenssicherung und nuklearer Abrüstung eine mühsame Angelegenheit ist. »Nach der Konferenz wird die Welt kaum besser sein, aber wir haben vielleicht ein paar Anstöße gegeben, wie man etwas entwickeln kann.« Am morgigen Dienstag finden zwei große Veranstaltungen mit Pugwash-Vertretern an der Freien und an der Humboldt-Universität statt. »Wir versuchen, die Ergebnisse in eine breite, zumindest universitäre Öffentlichkeit zu stellen«, erklärte Braun.

Auch zwei internationale Workshops würden längerfristig weitergeführt. Ihr Thema: die soziale Verantwortung von Wissenschaftlern und der Zusammenhang zwischen Klimaveränderung und Konflikten. »Vor allem werden wir sorgfältig darüber nachdenken, was wir hier aus den Debatten gelernt haben.« Und das sei ein langfristiger Prozess, so Braun.

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