Unordentliche Facebook-Partys
Niedersachsens Innenminister will Verbot
»Im Doubliertritt, marsch«, kommandierte Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil am Sonntag – und schon setzten sich die rund 10 000 Teilnehmer des Ausmarsches zum größten Schützenfest der Welt in Bewegung. Zu Blasmusik, in Reih' und Glied, uniformiert – eben ordentlich. So etwas Ordentliches mag Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Das dürfte sicher sein.
Eine Scheindebatte?
Was Schünemann gewiss gar nicht mag, ist so etwas Ungeordnetes wie eine Facebook-Party. Da verrät einfach irgendwer im Internet: Bei mir ist Party! Und dann kommen nicht nur viele liebe Leute, sondern auch ein paar Bösewichte, die vielleicht eine Mülltonne umkippen oder so laut »Happy Birthday« singen, dass Schünemanns Polizei anrücken muss. Und sicher gibt's auch mal ein paar alkoholisierte Burschen, die sich »was an die Löffel hauen«, wie es allerdings auch bei gutbürgerlichen Schützenfesten zu beobachten ist.
Aber: Ruhe ist eben für Schünemann wohl die erste Bürgerpflicht, und so schaffte er es mit seinem Unmut gegen Facebook-Partys auf die Titelseite der »Welt am Sonntag« mit der Forderung: »Wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet wird, müssen Facebook-Partys im Vorweg verboten werden.« Gegebenenfalls müssten solche Feten »mit Platzverweisen aufgelöst werden«.
Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und sein Amtskollege in Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), plädieren für ordnungsbehördliche Schritte gegen derartige Feiern.
Malte Spitz, Bundesvorstandsmitglied der Grünen, kommentierte das Gebaren der Innenminister: »Da heizen sicherheitspolitische Hardliner eine Scheindebatte an.« Die Vorsitzende und medienpolitische Sprecherin der Linksfraktion im niedersächsischen Landtag, Kreszentia Flauger, erklärte gestern gegenüber ND: »Uwe Schünemann ist mit 84 Fans auf Facebook offensichtlich kein erfahrener Facebook-Anwender.« Wenn er mehr über die Chancen und Risiken dieser Plattform erfahren wolle, könne er sich gern bei den LINKEN melden. »Vielleicht kommt er dann mit seinen politischen Forderungen im 21. Jahrhundert an.«
Schünemann sollte sich für eine bessere Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen einsetzen, erklärte Flauger, und dafür, dass die Betreiber von sozialen Netzwerken ihre Nutzer auf mögliche Folgen ihres Nutzungsverhaltens hinweist. Stattdessen »hören wir von Schünemann die übliche Forderung nach einem pauschalen Verbot, diesmal eben für Facebook-Party-Einladungen«.
Das würde die vorwiegend harmlosen Facebook-Nutzer beeinträchtigen, erklärte die LINKEN-Politikerin. Außerdem wäre kaum abzugrenzen, welche Facebook-Einladungen sich auf Partys und welche sich auf andere Veranstaltungen beziehen. »Vielleicht weiß Herr Schünemann das aber auch ganz genau und zielt mit seiner Verbotsforderung darauf, die Mobilisierung zu politischen Veranstaltungen und Demonstrationen gleich mit zu verhindern«, gibt Kreszentia Flauger zu bedenken.
Fete und Versammlung
Rechtlich betrachtet haben die Partyfreunde allerdings schlechte Karten, wenn sie ihre Stimmung im öffentlich Raum, in einer Straße etwa, ausleben wollen. Denn sie können sich kaum auf den Artikel 8 des Grundgesetzes berufen, der Versammlungsfreiheit garantiert. Eine Fete ist keine Versammlung im Sinne des Gesetzes, so das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2001, damals in Sachen »Loveparade« und »Fuckparade« und zur Absicht der Organisatoren, diese als politische Veranstaltungen anzumelden.
Bleibt abzuwarten, wie sich die Ansichten von sicherheitspolitischen Schwergewichten wie Schünemann und Kollegen künftig auswirken, wenn jemand bei Facebook postet: »Ich hab Geburtstag – alle sind willkommen!«
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