Verweltlichte Gotteshäuser
Die Zahl der aufgegebenen Kirchen wächst – in Hitzacker wurde eine von ihnen zur Kunsthalle
Schon geraume Zeit vor den Missbrauchsskandalen und den Vorgängen um den umstrittenen Bischof Walter Mixa, dem das Ja zur Prügelstrafe, das Ohrfeigen von Kindern und unredlicher Umgang mit Kirchengeld vorgeworfen worden waren, hatte die katholische Kirche immer mehr Schäfchen verloren. Kehrten 1960 nur 24 000 Menschen der Papstkirche den Rücken, sagten sich 1990 schon rund 144 000 katholisch Getaufte los von Rom.
Die Austrittswelle ging dann ein wenig zurück, 2009 beispielsweise auf 130 000 Fälle, schwappte aber 2010 hoch auf 180 000. Vielen hatten die Missbräuche an Kindern und Jugendlichen im kirchlichen Umfeld den letzten Anstoß zur Trennung gegeben.
Verfall oder Abriss?
Doch schon kurz nach der Jahrtausendwende hatte in bischöflichen Palais etwas ganz Weltliches um sich gegriffen – das betriebswirtschaftliche Denken. Am Ende stand die Erkenntnis: Mehrere Pfarrgemeinden müssen fusionieren, etliche Kirchen gilt es zu schließen. Zum einen, weil für ihre Pflege und bauliche Unterhaltung das Geld fehlt, zum anderen, weil in so manchem großen Gotteshaus sonntags nur noch relativ wenige Plätze besetzt waren und sind – zumeist von einem kleinen, treuen Kreis.
So war es beispielsweise in Hitzacker in »Maria Königin«, einer der drei – weit auseinander liegenden – katholischen Kirchen im flächenmäßig großen Kreis Lüchow-Dannenberg, der den meisten Menschen eher durch »Gorleben« vertraut ist.
Zum Leidwesen vieler Menschen, die in der Hitzackeraner Kirche getauft oder getraut worden waren oder zu den treuen Besuchern zählten, verfügte das zuständige Bistum: Die Kirche wird geschlossen, wird »profaniert« – also »verweltlicht«. Das geschah Ende 2006. Seitdem sorgten sich nicht nur die Katholiken Hitzackers um die Zukunft des 1964 fertiggestellten Gebäudes. Wird es irgendwann verfallen? Wird es abgerissen? Kommt irgendetwas hinein, das der Würde einer ehemaligen Kirche nicht entspricht? Pläne, die Stadtbücherei dorthin zu verlegen, wurden anfangs begrüßt, später aus technischen Gründen wieder verworfen.
Unlängst entwickelte der Hitzackeraner Hotelier Peter Wieczorek die Idee, die Kirche für ein weiteres Angebot im anerkannt rührigen kulturellen Leben des Kneipp-Kurortes zu nutzen. Immerhin wird Hitzacker seit 1946 von vielen Menschen aus nah und fern zu den »Sommerlichen Musiktagen« besucht, die stets ein hochkarätiges Programm bieten. Und: Fast schon Tradition hat in Hitzacker die in jedem Frühjahr angebotene »Musikwoche«, bei welcher der Dresdner Trompeten-Virtuose Ludwig Güttler mit dem von ihm gegründeten Kammerorchester »Virtuosi Saxoniae« alljährlich für »volles Haus« im Elbestädtchen bürgt.
Nun hat Peter Wieczorek seinen Heimatort um ein weiteres Stück Kultur bereichert. Der Hotelier, auch als Vorsitzender des örtlichen Verkehrsvereins für den Tourismus engagiert, hat die ehemalige katholische Kirche gepachtet und sie, dem achteckigen Grundriss entsprechend, in »Kunsthalle Oktogon Hitzacker« umbenannt.
Derzeit ist dort eine Installation optisch und akustisch zu erleben: »Fruchtbare Tage Mutter Erde« heißt das Thema, das Peter Wieczorek konzipiert hat. Große farbige Tücher dominieren den Raum. Sie und ein auf eine Leinwand projizierter Trailer über »Urgewalten« sollen einen tiefen Eindruck von der Lebendigkeit der Erde vermitteln, erläutert Wieczorek. Aus verborgenen Lautsprechern dringen Werke der zeitgenössischen Klassik von Arvo Pärt, Gustav Mahler, György Ligeti und Sofia Gubaidulina; sie sollen der Thematik »Mutter Erde« auch im geschlossenen Raum zu einer akustischen Erfahrbarkeit verhelfen.
Nicht immer mit Würde
Weitere kulturelle Veranstaltungen werden folgen im »Oktogon«. Stets sollen sie der Würde einer ehemaligen Kirche angemessen sein, verspricht Peter Wieczorek.
Zahlreichen anderen entwidmeten katholischen Kirchen in Deutschland wurde ein solcher Umgang nicht zuteil: Mehrere wurden abgerissen, auf den entstandenen Freiflächen entstanden beispielsweise ein Supermarkt oder Wohngebäude. Nicht wenige ehemalige Gotteshäuser wurden umfunktioniert, zum Kindergarten etwa oder auch zur Tanzschule oder zur Tennishalle.
In Lüchow-Dannenberg indes steht nun eine weitere Profanierung bevor: Eine der noch verbliebenen beiden katholischen Kirchen, die in Clenze, wird ebenfalls geschlossen, spätestens 2014. Was aus ihr wird, ist noch offen. Vielleicht findet sich ein Problemlöser wie in Hitzacker.
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