75 Minuten Menschenfreundlichkeit
LINKE und Grüne wollen Flüchtlingen zu ihrem Recht verhelfen – die CDU will sie fernhalten
»Wir können nicht jedes Leid in der Welt heilen«, sagte der Bundestagsabgeordnete Michael Frieser (CSU) gestern im Bundestag und deutete damit an, wie bestürzt er und seine Partei davon sind, dass dieses Jahr über 1500 Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen, zu Tode gekommen sind.
Ende dieses Monats wird der 60. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) begangen. Bei ihr handelt es sich um das wichtigste internationale Abkommen zum Flüchtlingsschutz. Die LINKE und die Grünen nahmen das zum Anlass, Anträge einzubringen, in denen ein besserer Schutz von Flüchtlingen gefordert wird.
In der gestrigen Parlamentsdebatte zum Thema machte Ulla Jelpke von der LINKEN darauf aufmerksam, dass selbst hier lebenden anerkannten Asylbewerbern durch sogenannte »Widerrufsverfahren« ihr Aufenthaltsrecht wieder entzogen werden kann, »ein bürokratischer Wahn, den es nur in Deutschland gibt«. Im Antrag der Linkspartei wird explizit darauf hingewiesen, dass Menschen, deren Leben bedroht ist und die ihr Herkunftsland verlassen müssen, heute ihre Rechte häufig gar nicht in Anspruch nehmen können, da sie »durch die Vorverlagerung der Grenzkontrollen« an die Außengrenze Europas meist gar nicht bis nach Deutschland gelangen. Die Verantwortung für die Flüchtlinge werde so überforderten »Dritt- und Transitstaaten« überlassen, die »dieser Aufgabe tendenziell nicht nachkommen« und in denen die Menschen »keine menschenwürdigen Überlebensbedingungen vorfinden«. Der GFK werde zwar »damit formal Genüge getan, in ihrer Substanz wird sie jedoch ausgehöhlt«.
Das ist Asylrecht, wie es hierzulande gehandhabt wird: Menschen, die vor Verfolgung fliehen, einem Krieg oder einer wirtschaftlichen Misere zu entkommen suchen, die oft genug von Deutschland mitverursacht worden ist, werden gegenwärtig sogar schon an der Ausreise aus ihrem Herkunftsland gehindert. Darauf wies Ulla Jelpke hin. Der paramilitärischen »Grenzschutzagentur« FRONTEX kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Sie hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge gar nicht erst in Ländern ankommen, in denen sie ihre Rechte geltend machen können.
»Allein im Mittelmeer sind in diesem Jahr bis Mitte Mai mehr als 1500 Menschen ertrunken«, stellen die Grünen fest. Josef Winkler (Grüne) sagte, für Flüchtlinge gebe es derzeit »keinen legalen und sicheren Weg, Europa zu erreichen«.
Christoph Bergner, der von der CDU zum Thema vorgeschickt wurde, bemühte sich dagegen, Deutschland als eine Art Schlaraffenland für Verfolgte darzustellen. Ganz so, als rede er bei einer Feierstunde, sprach er in wolkigen Worten von der GFK als einer »humanitären Fortschrittsgeschichte«, auf die »wir stolz sein können«, reihte stolz Zahlenkolonnen aneinander und scheute sich auch nicht, die platten, alten Kampfbegriffe seiner Partei (»Asylmissbrauch«, »Massenzustrom«) wieder hervorzukramen.
Auf der Webseite des Bundestages war gestern zu lesen: »Für Debatte und Abstimmung stehen 75 Minuten zur Verfügung.« Das klingt kaltschnäuzig und ganz nach Geschäftsordnung. Die Anträge wurden erwartungsgemäß abgelehnt.
Deutschland gehörte im übrigen zu den ersten Staaten, die 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben. In dem Dokument wird den Unterzeichnerstaaten die Zurückweisung politisch Verfolgter ausdrücklich verboten. Aber was heißt das schon. Es handelt sich ja nur um einen Wisch beschriebenes Papier.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.