Chaotische Zustände im Bürgeramt
Stundenlange Wartezeit in Behörden – Bezirke fordern mehr Personal, Finanzsenator bleibt zurückhaltend
Im Lichtenberger Bürgeramt in der Möllendorffstraße schien die Lage gestern ruhig – zumindest auf den ersten Blick. Doch auch hier warteten die Menschen sechs bis sieben Stunden, wie derzeit in den meisten Berliner Bürgerämtern. Wer überhaupt eine Wartenummer ergattert, kann meist schon froh sein. Es herrscht Personalnot, kombiniert mit dem gestiegenen Aufgabenpensum und der Urlaubszeit führt das zu Chaos und Unmut.
Die Bürgerdienste haben berlinweit einen Zusatzbedarf von 59 Mitarbeitern errechnet und bei der Senatsverwaltung für Finanzen beantragt, sagte Axel Hunger, Leiter des Bürgeramts Lichtenberg am Donnerstag.
Die Gänge im Amt in der Möllendorffstraße waren fast leer, nur vereinzelt saßen Menschen auf dem Boden, einige hatten sich auf der sonnigen Wiese vor dem Eingang ausgestreckt. »Es sieht so entspannt aus, weil die meisten Kunden nicht hier warten«, erklärte Hunger. Das liege daran, dass man seit einiger Zeit seine Handynummer hinterlassen könne und per SMS informiert werde, bevor man an die Reihe kommt. So vertreiben sich viele die Zeit im benachbarten Einkaufszentrum. 119 Kunden standen am Mittag auf der Warteliste, 250 pro Tag müssen die fünf Sachbearbeiter mitunter bewältigen. »Früher hat man bei uns höchstens eine Stunde gewartet, heute sind es sechs«, so Hunger.
Zu den zusätzlichen Aufgaben gehöre die Vorbereitung der Wahlen. »Das bindet Kapazitäten, ebenso wie der neue Personalausweis.« Dessen Bearbeitung nehme jetzt viel mehr Zeit in Anspruch. »Die Anforderungen an die Sachbearbeiter sind gestiegen.«
Gegen 13.30 Uhr wurde die Ausgabe von Wartenummern erstmal gestoppt. »Ein Chaos ist das hier!«, klagte Frau Müller, die keine Nummer mehr bekommen hat. »Ich bin berufstätig und weiß nicht, wann ich sonst kommen soll.«
Auf die angespannte Lage in den Bürgerämtern hat Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) gestern reagiert und stattete dem Lichtenberger Bürgeramt 2 im Rahmen seiner Bezirkstour einen Besuch ab. Auf eine mögliche Personalaufstockung angesprochen, sagte der Senator, er wisse nichts von dem errechneten Bedarf. Statt von Neueinstellungen sprach er von »Umschichtung«.
Womöglich müsse Personal aus den Verwaltungen in die Bürgerämter gebracht werden, zumal letztere viele Aufgaben erledigten, die sonst in anderen Ämtern landen würden. Außerdem sprach er sich dafür aus, »Verwaltungen attraktiver zu machen«, um mehr »junge Kräfte« zu gewinnen. Dass die Bürgerämter dieses Jahr durch die Wahl mit einer besonderen Herausforderung zu kämpfen haben, sah auch Nußbaum ein, ebenso den erhöhten Personalbedarf im Sommer. »Es muss eine Entlastung stattfinden«, so der Senator. Wie die aussehen kann, sagte er nicht. Er verwies darauf, dass der Senat »Gespräche mit den Bezirken« begonnen habe und ein Konsens vorhanden sei.
Der verwaltungsreformpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Andreas Statzkowski, bezeichnete die Zustände als unhaltbar. Er forderte den Senat auf, »den Bezirken kurzfristig mehr Geld zur Verfügung zu stellen, damit diese zusätzliches Personal einstellen können«.
Die Bürgerämter empfehlen, schon vorab telefonisch oder im Internet einen Termin auszumachen. Doch auch das ist nicht so einfach, weiß der 23-jährige Sebastian, der vor dem Lichtenberger Amt auf einer Bank wartet. Der nächstmögliche Termin, der ihm angeboten wurde, war Ende August.
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