Wege zur großen Vereinigung

Vor 150 Jahren begründete James Clerk Maxwell die Theorie des Elektromagnetismus

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 4 Min.

Mitten während einer Vorlesung machte der dänische Physiker Hans Christian Ørsted 1820 eine folgenreiche Entdeckung: Als er einen stromdurchflossenen Draht unbeabsichtigt in die Nähe einer Kompassnadel brachte, fing diese plötzlich an sich zu bewegen. Ørsted schloss daraus, dass strömende Elektrizität eine magnetische Kraft erzeugt und prägte für dieses Phänomen den Begriff »Elektromagnetismus«.

Die Nachricht verbreitete sich rasch in ganz Europa und veranlasste den Engländer Michael Faraday, den umgekehrten Prozess zu realisieren, also Magnetismus in Elektrizität zu verwandeln. 1831 gelang ihm nach zahllosen Fehlschlägen der große Wurf: Faraday entdeckte die elektromagnetische Induktion. Aber er entdeckte noch etwas anderes, nämlich dass ein Magnetfeld die Eigenschaften von polarisiertem Licht beeinflusst. Ausgehend davon wurden in der Folge mindestens elf unzulängliche Theorien ersonnen, um den Zusammenhang zwischen Elektrizität, Magnetismus und Licht zu beschreiben. Erst der schottische Physiker James Clerk Maxwell war damit 1861 erfolgreich. Er vereinigte Elektrizität und Magnetismus zu einer einzigen Naturkraft und zeigte, dass Licht eine elektromagnetische Welle ist.

Die von Maxwell abgeleiteten Gleichungen des Elektromagnetismus sind nach einem Wort von Stephen Hawking, »die wirtschaftlich wichtigsten Gleichungen, die wir kennen«. Denn ohne sie gäbe es viele elektrische Geräte nicht. Es gäbe kein Radio, keinen Fernseher, keinen Computer, um nur drei Beispiele zu nennen. Darüber hinaus stellten die Maxwellschen Gleichungen für Physiker immer auch einen Anreiz dar, auf eine Vereinigung der fundamentalen Naturkräfte hinzuarbeiten.

Davon waren anfangs zwei bekannt: Elektromagnetismus und Gravitation. Nachdem Albert Einstein 1915 die Gravitation als geometrische Eigenschaft der vierdimensionalen Raumzeit gedeutet hatte, versuchte er, sie mit dem Elektromagnetismus in einer Theorie zu vereinen. Einstein opferte Jahrzehnte seines Lebens, um dieses Vorhaben zu verwirklichen. Doch der Erfolg blieb ihm versagt, zumal er sich weigerte, die Quantenphysik in irgendeiner Form zu berücksichtigen.

Dabei wurden schon zu Lebzeiten Einsteins zwei weitere Naturkräfte entdeckt, die schwache und starke Kraft, die dort wirken, wo die Quantenmechanik gilt: in atomaren Dimensionen. Während die schwache Kraft etwa den radioaktiven Betazerfall steuert, hält die starke Kraft die Bausteine des Atomkerns zusammen. (Die kürzlich verbreitete Meldung, Physiker hätten am Fermilab in Chicago Hinweise auf eine fünfte Naturkraft gefunden, konnte nicht bestätigt werden.)

Bereits in den 1940er Jahren wies der US-Physiker Richard Feynman den Weg zur Vereinigung der Naturkräfte. Er entwickelte eine Quantenversion des Elektromagnetismus, die Quantenelektrodynamik, aus deren Verbindung mit der Theorie der schwachen Kraft 1967 die sogenannte elektroschwache Kraft hervorging. Danach häuften sich die Versuche, auch die starke Kraft in dieses Konzept zu integrieren – mit dem Ziel, eine »große unifizierte Theorie« (GUT) zu schaffen. Denn man nimmt heute an, dass die Naturkräfte beim Urknall noch vereint waren und sich erst infolge der Abkühlung des Universums in mehrere Komponenten aufspalteten.

Während es für die Theorie der elektroschwachen Kraft überzeugende experimentelle Belege gibt, ist die Lage bei den verschiedenen GUTs weniger komfortabel. So sagen diese etwa voraus, dass Protonen eine durchschnittliche Lebensdauer von 10 hoch 32 Jahren haben. Neuere Experimente deuten jedoch darauf hin, dass die Lebensdauer mindestens 10 hoch 34 Jahre beträgt. Außerdem enthalten die GUTs eine Reihe von Parametern, die nicht aus der Theorie selbst folgen, sondern extra gewählt werden müssen, um die experimentellen Daten zu reproduzieren. Dennoch halten viele Physiker eine Vereinigung von elektromagnetischer, schwacher und starker Kraft vom Prinzip her für möglich.

Bei der vierten Naturkraft, der universellen Gravitation, liegt die Sache komplizierter. Denn von ihr gibt es bis heute keine Quantenversion. »Schuld« daran ist unter anderem die Heisenbergsche Unschärferelation, aus der folgt, dass der leere Raum mit virtuellen Teilchen und Antiteilchen gefüllt ist. Da deren Energie als unendlich angenommen wird, müsste laut allgemeiner Relativitätstheorie das Universum zu einem unendlich kleinen Volumen gekrümmt sein – was augenscheinlich nicht der Fall ist.

Wie kann man diese Hürde nehmen? Viele Physiker vertrauen auf die Stringtheorie, derzufolge die Teilchen im Raum nicht punktförmig sind, sondern winzigen schwingenden Saitenstücken ähneln. Tatsächlich wurde bereits 1974 gezeigt, dass sich damit auch die Gravitation beschreiben lässt. Allerdings müssten die winzigen »Saiten« dafür mit extremer Kraft gespannt sein. In Zahlen: mit 10 hoch 39 Tonnen! Darüber hinaus können Stringtheorien nur in einer Raumzeit von zehn Dimensionen widerspruchsfrei formuliert werden. Auch hierfür haben Physiker eine plausible Lösung gefunden: Sechs der zehn Dimensionen sind in einem Raum von äußerst geringer Ausdehnung zusammengerollt und für uns gleichsam unsichtbar.

Vom einst prophezeiten Ende der Physik kann also keine Rede sein. Man wäre daher fast versucht, den alten Lenin zu zitieren: »Das Elektron ist ebenso unerschöpflich wie das Atom, die Natur ist unendlich.« Aber bleiben wir bei Hawking, der inzwischen ebenfalls meint, dass es eine »letzte Theorie für Alles« vermutlich gar nicht gibt.

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