Feuerteufel im Treppenhaus

Brandstifter und die schlimmen Folgen ihrer nächtlichen Streifzüge

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.
Insgesamt 547 Fälle von Brandstiftung gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres, 163 davon in Treppenhäusern, heißt es in der neuesten Kriminalitätsanalyse des Berliner Polizeipräsidiums. Trotz zwischenzeitlichem Rückgang gebe es allen Anlass, aufmerksam zu bleiben. Erst am Wochenende kam es im Reinickendorfer Haßlingerweg wieder zu einem solchen Feuer, das aber von Bewohnern selbst gelöscht werden konnte.
Überreste einer Wohnung nach der Brandstiftung vom 12. März in der Sonnenallee, bei der es zu drei Toten kam; Brandspuren an einem Fenster im Hinterhaus Fotos: dpa
Überreste einer Wohnung nach der Brandstiftung vom 12. März in der Sonnenallee, bei der es zu drei Toten kam; Brandspuren an einem Fenster im Hinterhaus Fotos: dpa

Die Gefahren sind groß: Wenn Brandstifter in Hausfluren und Kellern zündeln, dann wird es oftmals brenzlig für Bewohner sowie Hab und Gut. Die Täter setzen herumstehenden Hausrat in Flammen, Kinderwagen, abgestellte Sofas, Kartons mit Werbeschriften, Schuhregale, Müll.

Vor allem in Wohnhäusern, die eingangs des 20. Jahrhunderts gebaut wurden, breiten sich auch kleine Feuer wegen der hölzernen Treppen und Geländer schnell nach oben aus. Zu dieser Bedrohung kommen die sich rasch entwickelnden hochgiftigen Rauchgase. Weil die Täter zumeist spätabends und nachts unterwegs sind, werden die Bewohner häufig im Schlaf überrascht. Mit schlimmen Folgen. Allein bei dem Fall vom 12. März dieses Jahres in der Neuköllner Sonnenallee kamen drei Menschen ums Leben, 17 wurden verletzt.

Nur der Zufall führte dazu, dass die meisten Fälle glimpflich ausgingen. Polizeisprecher Frank Millert: Insgesamt wurden zwischen 2006 und 2010 in 1407 Fällen mit gleichartigen Tatörtlichkeiten ermittelt und dabei in 212 Fällen Täter ermittelt.

Manchmal führt die Festnahme eines Brandstifters dazu, eine Vielzahl von Zündeleien gleichzeitig aufzuklären. Allerdings erweisen sich die Ermittlungen meist als recht schwierig. Auch deshalb, weil Feuer häufig Spuren vernichtet. Über die Jahre liegt die durchschnittliche Aufklärungsquote bei 20 Prozent.

Aller Erfahrung nach, so Millert, gibt es den auf Kinderwagen spezialisierten Brandstifter nicht. Wohl aber Motive, nach denen Eigentümern gezielt geschadet werden soll. In den meisten Fällen sei jedoch davon auszugehen, dass man Kinderwagen in frei zugänglichen Hausfluren vorfindet und dann aufgrund ihrer leichten Brennbarkeit anzündet.

Allzu oft handele es sich um Gelegenheitstäter, hauptsächlich männlichen Geschlechts, die auch durch andere Delikte bereits auffällig geworden sind. Beschuldigte nannten bei Vernehmungen als Motiv häufig Langeweile, den kurzfristigen Kick, Imponiergehabe oder auch pure Freude am Feuer, sagt Kriminaldirektor Miller. Serienbrandstifter handelten aus einem krankhaften Trieb heraus, kompensierten mit dem Feuerzeug persönliche psychische Defizite. Sie stellen eher die Ausnahme dar. Ebenso wie Pyromanen. Nachahmungstäter würden durch die öffentliche Debatte sowie mediale Berichte animiert.

Brandstiftungen an Hauszugängen wurden zuletzt aus Neukölln, Kreuzberg, Spandau, Prenzlauer Berg, Marzahn und Hellersdorf aktenkundig. Allerdings schälen sich keine Schwerpunkte heraus. Es gebe die Zündeleien »in allen dicht besiedelten, von einer gewissen Anonymität geprägten sozial schwachen Stadtteilen«, sagt Millert.

Die Bürger können sich schützen, indem Tatgelegenheiten beseitigt werden, so rät man im Polizeipräsidium: Hauseingänge sollten verschlossen sein, alle brennbaren Gegenstände aus den Aufgängen und Fluren entfernt werden.

Weil es trotzdem immer wieder brennt, wäre zudem eine Pflicht zum Anbringen von Rauchmeldern in Wohnhäusern nötig. Die jeweiligen Berliner Landesbranddirektoren fordern diesen Schutzengel seit einem Dutzend Jahren bei jeder Gelegenheit. Man schätzt, dass Berliner Wohnbauten nur zu etwa 20 Prozent mit Rauchmeldern ausgestattet sind. Dabei erweist sich der Aufwand als gering. Die Geräte sind klein wie eine Dose, kosten nicht einmal zehn Euro, werden an der Decke angebracht und geben einen Piepton ab, wenn selbst kleine Mengen an Rauchgas in die Räume dringen.

Bei der GdP nennt man die Rauchmelderpflicht einen längst überfälligen Schritt. Allein zehn Kilogramm brennenden Schaumgummis eines Sessels erzeugten 25 000 Kubikmeter toxische Brandgase, schon zwei Atemzüge würden unweigerlich in den Tod führen, meint Michael Schombel, in der GdP für die Feuerwehr zuständig.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!