Schwere Propaganda-Gefechte in Afghanistan

Attentat auf Halbbruder von Präsident Karsai / Alle Kriegsparteien sehen sich auf dem Vormarsch

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Er galt als einer der einflussreichsten Männer im Süden Afghanistans und war einer der Mächtigen im grenzüberschreitenden Drogengeschäft: Ahmad Wali Karsai, der jüngere Halbbruder des afghanischen Präsidenten, fiel gestern einem Mordanschlag zum Opfer. Doch der künftige CIA-Chef David Petraeus, der zu Wochenbeginn sein letztes Interview als ISAF-Befehlshaber gab, sieht die Aufständischen in die Defensive gedrängt.

Der Anschlag, für den die Taliban die Verantwortung übernahmen, ist vermutlich noch nachhaltiger als die Ermordung Polizeichefs im Nordbereich, General Daud Daud, Ende Mai. Karsai war der Chef des Provinzrats von Kandahar und soll in den Heroinhandel verwickelt gewesen sein. Vor zwei Jahren hatte eine britische Spezialeinheit mehrere Tonnen Rohopium auf dem Gelände eines von Polizisten bewachten Gehöfts gefunden, das dem Halbbruder des Präsidenten gehörte.

Darüber hinaus war der jüngere Karsai als Mann der CIA ins Zwielicht geraten. Unter anderem soll er geholfen haben, eine paramilitärische Einheit aufzustellen, die direkt dem Kommando des US-Dienstes unterstand. Ahmad Wali Karsai selbst hatte Verbindungen zur CIA sowie Verstrickungen in den Drogenhandel stets abgestritten.

In Afghanistan entwickelt sich – wie von Experten warnend vorausgesagt – Invasionsendzeitstimmung. Alle Akteure bemühen sich um politische Geländegewinne. Plötzlich kümmert sich ISAF sogar um die Eindämmung von Drogenprofiten – auf der Gegenseite.

Zu Wochenbeginn vermeldete die NATO-Schutztruppe einen Schlag gegen die Drogenmafia in Kajran, Provinz Daykundi. Afghanische Sicherheitskräfte hätten gemeinsam mit ISAF-Truppen 942 Kilogramm Opium, zwei Kilogramm Heroin, 50 Kilogramm Marihuana-Samen und 20 Kilogramm Marihuana-Schnitt beschlagnahmt. Bei Kandahar fand man 100 Kilogramm Marihuana und 50 Kilogramm Haschisch.

Vor allem propagandistische Offensiven laufen. US-General Petraeus sagt, die Angriffe von Aufständischen auf NATO-Truppen und afghanische Sicherheitskräfte seien schwächer geworden. Die Zahl der Angriffe im Mai und Juni – verglichen mit dem Vorjahreszeitraum – sei »um ein paar Prozentpunkte« gesunken.

Umgehend meldeten sich die auch politisch offensichtlich immer besser organisierten Taliban zu Wort. Petraeus Aussagen seien »grundlose Prahlerei und Angeberei«. Seinerseits prahlte Zabihullah Mujahid, Sprecher des Islamischen Emirats Afghanistans, es habe im Mai und Juni 3127 Angriffe gegeben. 2272 Panzer, Pick-ups und Nachschubfahrzeuge seien beschädigt, Über 20 Hubschrauber und Flugzeuge sowie elf Drohnen abgeschossen worden. Hunderte US- und andere Soldaten der Invasionstruppen hätten ihr Leben lassen müssen. Er listete 43 sogenannte Märtyrerangriffe auf.

Auch die Bundeswehr macht die Erfahrung, dass man eigener Propaganda nicht trauen soll. Ursprünglich hieß es, dass die meisten Aufständischen aus dem nördlichen Distrikt Char Darrah vertrieben seien und der Rest nur noch fähig, hinterlistig Sprengfallen zu installieren. Am Montag jedoch waren deutsche ISAF-Kräfte in dem Gebiet 13 Kilometer westlich des Feldlagers Kundus wieder mit Handwaffen und Mörsern beschossen worden.

Die Lage sei »noch nicht so, wie wir uns das wünschen würden«, erklärte der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) gestern bei einem Truppenbesuch und korrigierte damit Angaben seines neuen US-Kollegen Leon Panetta. Dessen Aussage habe sich nur auf Al Qaida bezogen.

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