Currywurst und Laola
Die Fußball-WM 2011 in Deutschland ist in erster Linie ein friedliches Familienfest
Ohne Kampfbemalung kommen die Fans an Marcus nicht vorbei. Mit Schminkfarben und Pinsel bewaffnet steht der Mittzwanziger in Mönchengladbach inmitten der zum Stadion pilgernden Massen und zieht Bleichgesichter an seinen Tisch. Angemalt wird jeder, der will, ob groß, ob klein, Motive nach freier Wahl. »Der Andrang ist groß«, sagt der Leverkusener, der mit seinen drei Mitstreiterinnen durchs Land reist und vor allen deutschen Spielen im Auftrag der WM-Sponsoren zum Malkästchen greift. Ein paar Hundert würden sie am Tag schon schaffen, die restlichen Tausenden haben meistens zumindest Fähnchen, Trikots oder anderes.
Ein kleines Mädchen mit seiner Mutter im Schlepptau drängelt schon. Eine deutsche und eine nigerianische Flagge sollen auf die Stirn, dazwischen ein 4:0, die Prognose für den Endstand. Danach ist die Mama dran, auch die Flaggen, ein Fußball auf die Wange und dazu bitte noch der Schriftzug »One World« – für das Weltereignis. Beim Malen der Buchstaben auf die Wange fragt der Schminkprofi sein Model nach den Turnierfavoriten. »Deutschland natürlich«, sagt sie. Und noch andere? »Keine Ahnung, die anderen Mannschaften kenne ich gar nicht.« Schwamm drüber, meint Marcus. Die Welt der Fußballerinnen ist klein, aber bunt.
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»Und was nun?« Familie Winter steht ratlos vor einem silbern glänzenden Abfalleimer in der Rhein-Neckar-Arena von Sinsheim. Mama hat kurz vor dem Spiel noch eine Banane verdrückt, während Papa und Sohn sich eine Stadion-Currywurst geteilt haben. Auf dem Eimer lesen sie nun die Bitte, dabei zu helfen, die WM klimafair zu gestalten. Mülltrennung soll hier betrieben werden, was leider immer noch nicht Standard in deutschen Fußballstadien ist. Alles im Sinne des »Green-Goal«-Programms – welch wunderbarer Name für ein Fußballereignis.
Das Problem an dem Eimer ist jedoch, dass er nur ein Loch hat. Auch findet sich kein weiterer Hinweis darauf, was denn nun in diesen Eimer soll und was in die ebenfalls unbeschrifteten und einlöchrigen anderen Silbereimer, die rund ums Stadion verteilt sind. Soll hier nun die Bananenschale rein oder doch der verschmierte Currywurst-Pappteller? Mama Winter holt eine Plastiktüte aus ihrer Handtasche. »Wir nehmen lieber alles mit ins Hotel.« Das hat zwar kein »Green Goal«, aber wenigstens eine funktionierende Mülltrennung.
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Bernd Bünigs Tagwerk ist geschafft. Der knapp 50-Jährige ist einer von etwa 3000 Rothemden mit dem Aufdruck »Volunteer« auf dem Rücken. Diese freiwilligen Helfer machen so gut wie alles bei dieser WM. Tickets verkaufen, Büromöbel schleppen oder Promis herumfahren. »Ich wollte lieber was mit Leuten machen«, sagt Bernd, was ihn in der ersten WM-Woche auf die Fanmeile von Leverkusen verschlagen hat.
Die ist durchaus gut besucht, wenn man sich mal den sinnlosen Vergleich mit der Männer-WM verkneift. »Heute vor dem Spiel waren sogar eine Menge Schweden da«, berichtet Bernd von den Fans, die am Nachmittag das Spiel gegen Kolumbien im Stadion verfolgten. »Sonst sind es meistens Einheimische. Das muss man schon zugeben.«
In den Worten schwingt ein bisschen Wehmut mit. Offensichtlich hat sich Bernd etwas mehr Internationalität von diesem Großereignis erhofft. Trotzdem ist er sehr zufrieden mit seiner Arbeit und die seiner Kollegen, die allesamt seit November des vergangenen Jahres »gecastet« wurden.
»Besser kann es gar nicht laufen«, sagt auch Kollege Rolf Albus. Seit das Wetter mitspielt und die deutsche Mannschaft ihr Auftaktmatch gewann, sei die Hölle los. Fast täglich werden in der Fußgängerzone im Zentrum der Industriestadt Hüpfburgen aufgebaut, dazu kleine Fußballfelder und Torwände. »Das meiste ist für Kinder«, sagt Bünig und packt ein paar Kisten mit Luftballons in den Lkw. Besonders bemerkenswert ist der Andrang, da in Nordrhein-Westfalen die Sommerferien erst nach der WM beginnen. Public Viewing darf natürlich auch auf der Leverkusener Fanmeile nicht fehlen. Hier fällt es etwas kleiner aus als üblich. Ein gewöhnlicher Transporter mit großen Fernsehern an drei Seiten, das reicht. Die Organisatoren haben Realitätssinn bewiesen und auf Riesenleinwände verzichtet.
Den Volunteers geht es in erster Linie ums Miterleben. Dietmar Zimmermann etwa hatte sich schon vor zwei Jahren ein Ticket für das Spiel Brasilien gegen Australien gekauft. Damals stand noch nicht einmal die Paarung fest. »Dabei interessiere ich mich normalerweise nur für Männerfußball«, sagt Zimmermann. »Aber ich dachte, bei der WM in Deutschland muss man mit dabei sein.«
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Monika Beisheim hat einen ruhigen Arbeitstag. Die Bereitschaftsleiterin des Deutschen Roten Kreuzes Main-Taunus sitzt im Einsatzcontainer am Ende der Frankfurter Fußballgärten, der größten Fanmeile der WM, und kann plaudern. »Es ist wirklich angenehm, höchstens vier oder fünf Mal am Tag sind wir gefordert«, erzählt Beisheim, während die anderen vier Ersthelfer gerade über die Vergnügungsstraße am Mainufer patrouillieren. »Und meistens ist es auch nichts Schlimmes.« Mal ein verknackster Fuß, mal ein Schnitt im Finger, hin und wieder ein Kreislaufkollaps. »Aber wegen der Hitze, nicht wegen Alkohols«, meint die DRK-Frau, die auch schon bei den Fanfesten der letzten Männer-WM und -EM mit wesentlich mehr Arbeit dabei war.
»Es läuft alles viel friedlicher ab als bei großen Turnieren der Männer«, meint Beisheim und bestätigt gleiches von ihren Einsätzen im Frankfurter Stadion bei den WM-Partien. Leichtes Spiel für die Notfallhelfer und für die rund 5500 Sicherheitskräfte. Probleme mit Betrunkenen, Pöbeleien oder Handgreiflichkeiten gibt es bei den Fußballerinnen nicht, in Frankfurt genauso wenig wie in den anderen WM-Städten. Auch nicht in Wolfsburg nach dem ernüchternden Ausscheiden der deutschen Mannschaft. Silvia Neids Fußballerinnen wurden spät nach Mitternacht bei der Abfahrt mit dem Mannschaftsbus trotzdem gefeiert. Gute Laune auch bei Misserfolgen.
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Seiner Mannschaft hinterherzureisen macht müde. Jonathan aus dem US-Bundesstaat New Jersey hat sich deshalb die Zugfahrt zum Halbfinale zum Schlafen ausgesucht. »Wir waren in Dresden, dann kurz zum Sightseeing in Berlin, und nun geht's weiter nach Mönchengladbach«, erzählt Ehefrau Mary vom großen WM-Trip mit anschließender Europaerkundung, während ihr Mann selig ins Traumland abgleitet – zumindest so lange, bis die munter-fröhliche polnische Großfamilie einsteigt und die Plätze gegenüber in Beschlag nimmt. Der Sohn entdeckt das US-Trikot, der Familienpapa fragt nach, der aufgewachte Jonathan klärt auf: »Die Fußballerinnen der USA. Heute WM-Halbfinale.«
Eine WM? Davon hätten sie noch gar nichts mitbekommen, und auch die deutsche Oma in Köln, die sie besuchen fahren, habe davon nichts erzählt. »Die Spielerinnen sind Stars bei uns«, erzählt Jonathan von den großen Erfolgen der USA in den 90er Jahren und den Heim-Weltmeisterschaften. »Hier ist das Turnier aber auch eine große Sache«, pflichtet Mary bei und empfiehlt vor dem Aussteigen noch, sich das Halbfinale unbedingt im Fernsehen anzuschauen. »Beim Abendessen mit der Oma in Köln«, verspricht der polnische Familienpapa. Späte WM-Werbung auf Umwegen.
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Martin ist sauer. Die deutsche Mannschaft ist raus, und das noch vor »seinem Spiel«. Martin ist Fahrer rund ums Frankfurter WM-Stadion, in dem die deutsche Mannschaft eigentlich am Mittwochabend ihr Halbfinale spielen sollte, dem Tag an dem er endlich frei hat. »Ich hab mir vor Monaten schon eine Karte dafür gekauft. 75 Euro für Kategorie 3!«, sagt er. Das ist die zweitbilligste. »Es gab noch Kategorie 4, aber da gibt es Sichtbehinderungen. 75 Euro sind 'ne ganze Menge für ein Frauenfußballspiel.«
Was Martin aber so richtig sauer macht, ist letztlich nicht der Preis, denn immerhin ist es ein WM-Halbfinale. »Aber jetzt gibt es Karten wie meine schon für zehn Euro«, erzählt er, denn Deutschland ist nicht mehr dabei. Martin geht trotzdem ins Stadion. Die WM besteht schließlich nicht nur aus der deutschen Nationalmannschaft.
Er jubelt bei japanischen Toren, auch wenn die Asiatinnen die Heim-Elf aus dem Turnier geworfen haben. Er jubelt beim schwedischen Treffer, auch wenn die Skandinavierinnen den Deutschen die Olympiaqualifikation vermasselten. Rhythmisches Klatschen ist sowieso immer dabei, genau wie die Laola und ein paar Pfiffe – nur gegen die schwachen Schiedsrichterinnen, versteht sich.
Auf den Rängen ist diese WM ein deutsches Familienfest mit kleiner internationaler Beteiligung. Die Stadien waren nicht immer ausverkauft, aber es kamen mehr Zuschauer als je zuvor zu Spielen von Fußballerinnen in Deutschland. Auf dem Platz ist die WM mittlerweile ein internationales Turnier ohne deutsche Beteiligung. Das entzog die Spannung, aber nicht die Stimmung. Zwei Spiele sind es noch. Dann guckt Deutschland wieder Bundesliga – vielleicht auch die der Frauen.
Fotos: dpa/Roland Holschneider
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