Von Natur aus reich!

Für viele eine unbekannte Region: Die Kulturlandschaft Altmark ist eine Entdeckung wert

  • Roland Mischke
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Dom in der Hansestadt Havelberg wurde 983 von Mönchen gegründet.
Der Dom in der Hansestadt Havelberg wurde 983 von Mönchen gegründet.

Kurz vor fünf Uhr morgens fängt der Storch an zu schnäbeln. Es klappert und rumort, wahrscheinlich richtet er nach Ende der Nachtruhe erst sich selbst und dann seinen Horst. Der befindet sich 50 Meter Luftlinie vom Bett des Gastes im Hotel »Exempel Schlafstuben« im Hansestädtchen Tangermünde entfernt. Seit vielen Jahren lebt der Storch hier, sagt Tiemo Schönwald, Eigentümer des Hotels. Der Gefiederte kommt immer wieder, zwar nicht mit der immer selben Gefährtin, aber stets voller Tatendrang, seinen Horst nach winterlicher Verlassenheit wieder in Ordnung zu bringen. Wo Störche nisten, darf es nicht zu viele Menschen geben. Das ist in der Altmark der Fall.

Nördlich von Magdeburg, im Städtedreieck zwischen Berlin, Hamburg und Hannover und doppelt so groß wie das Saarland, dort, wo die Havel in die Elbe mündet, ist der Mensch nur eine Randerscheinung. Die Orte heißen Mose, Farsleben, Sandau oder Schönhausen. Dort wurde der spätere Reichskanzler Bismarck geboren. Kirchen und Klöster in versprengten Dörfern prägen die topfebene Landschaft, auch wenn sie entleert sind.

Die Altmark ist die Wiege Brandenburgs, auch wenn sie, weil Verwaltungsbeamte das so anordneten, zu Sachsen-Anhalt gehört, womit sich viele nicht so recht anfreunden können. »Im Herzen sind wir Brandenburger, von der Mentalität her Norddeutsche, es wird hier ja auch Platt gesprochen«, erklärt der Biologe Peter Neuhäuser vom Zentrum für Ökologie in Buch. »Die Leute im Süden Sachsen-Anhalts sind ein ganz anderer Menschenschlag, Mitteldeutsche.«

Auch die Architektur belegt das: Die Altmark ist optisch dominiert von dunkelroter Backsteinwucht. St. Stefan zum Beispiel ist das größte Gebäude von Tangermünde, sein Kirchturm höher als 87 Meter. Im Harz und nach Thüringen hin gibt es mehr Fachwerk. Die Gotteshäuser waren Bastionen in der Zeit der Ostkolonisation, die Heinrich der Löwe aus Braunschweig im 9. Jahrhundert vorantrieb. Erst wurden die heidnischen Slawen missioniert, dann Kirchen am Rande des Reiches errichtet.

Die Altmark war Frontland. Auch in DDR-Zeit, als die Industrialisierung selbst Bauern zu Produktionsgenossenschaftlern machte, wogegen die sich heftiger wehrten als anderswo. Der Arendsee war vor 1989 zur Hälfte gesperrt, fünf Kilometer Sperrzone. Wer hinein wollte, brauchte einen Passierschein, die ehemalige Kaserne der Grenzer ist heute Hotel, die meisten Gäste sind frühere NVA-Soldaten des Grenzregiments 24 »Fritz Heckert«. Einige Menschen, die flüchten wollten, fanden am Arendsee den Tod. Jetzt zwitschern im ehemaligen Todesstreifen Vögel um die Wette, Dammwild und Wildschweine queren das einstige Grenzgebiet, und Besucher versammeln sich zum Picknick auf dem früheren Grenzstreifen. Die Erbsensuppe aus dem Hotel »Deutsches Haus« in Arendsee schmeckt besser als aus der NVA-Gulaschkanone – eine etwas makaber wirkende Erlebnisgastronomie. 300 Meter weiter steht ein Kreuz, es erinnert an Bernhard Simon, der 1963 bei einem Fluchtversuch auf eine Mine trat und an seinem hohen Blutverlust starb, gerade mal 18 Jahre alt.

Tangermünde ist 1002 Jahre alt, es sieht aus wie geleckt, das Rathaus mit schönem Schmuckgiebel, die Häuser an den Kopfsteinpflastergassen alle saniert. Durch die Rossfurt geht es hinunter zum Elbtor, dort fließt der Tanger in die Elbe. Darüber sitzt auf einem Plateau die Burg, heute Hotel, einst Grenzfestung gegen die Slawen. Geschnitzte Rundbogentüren und Sitznischen, Hauswappen und kryptische Symbole zieren Fassaden. Tangermünde ist eine propere Historienkulisse, Ufa und Defa drehten hier Filme.

Tiemo Schönwald und seine Nichte Stine verbanden drei Fachwerkhäuser zum Hotel, dessen Wände teilweise aus Lehm bestehen, und das sie wie ein Museum einrichteten. Es gibt Altmärkische Hochzeitssuppe und andere Spezialitäten, eher deftig, aber alle aus Regionalprodukten. Bei gutem Wetter wird draußen am Brunnen serviert.

Mit Macht kam die Natur über das Mittelelbische Biosphärenreservat. In den Gewässern leben über 400 Biber, die größte Nagetierpopulation in Deutschland, an den Wasserstellen sieht man Kormorane Fische verschlingen, Eisvögel auffliegen, Rote Milane und Seeadler kreisen darüber. Kraniche und Wildgänse fliegen laut kreischend im Transit nach Skandinavien und Sibirien ein, allein ein Dorf, Wahrenberg, zählt 16 Storchfamilien in Horsten, die sie jedes Jahr ansteuern. Männer, die stumm ihre Angel in Gewässer halten, kriegen regelmäßig Fische an die Haken, Hechte oft über einen Meter lang, Lachse fett. Grasende Pferde auf Koppeln vermehren sich schneller als die Zweibeiner und seit einigen Jahren sind Luchse in der Region unterwegs, und man hat sogar zwei Wölfe gesehen, die durch die Elbe schwammen.

Die Elbe ist in Deutschland ein einzigartiger Fluss. Gebettet in Sand, zeigt sie sich völlig naturbelassen und ihre Strömung ist mit drei Kilometern je Stunde Vortrieb flussabwärts ganz ordentlich. Der Strom spült ein feines Sediment an die Ufer, weiß und vergleichbar dem Ostseesand, es gibt Buchten, sogar kleine Strände, an denen Einheimische Picknick halten und baden. Die Wasserqualität ist mittlerweile hervorragend, es gibt keine Belastungen mehr, auch nicht da, wo die Elbe noch vor 20 Jahren stank und Blasen trieb durch die Abflüsse aus den Chemie- und anderen Betrieben. Auf lange Strecken gesäumt sind beide Ufer von Auenwaldbeständen, ganzen Eichenwäldern, aber auch Pappeln und Kastanien mit mächtigen Kronen.

Auf 120 Kilometern Elbe-Radweg unterquert man die altehrwürdigen Baumveteranen. Oder man paddelt oder mietet sich ein Hausboot, das ohne Schiffsführerschein gesteuert werden darf.

In Havelberg finden Havel und Elbe zueinander, das 7000-Einwohner-Städtchen führt ebenfalls das Hansesiegel im Stadtwappen. Malerisch in die Schleife des Flusses gelegt, thront auf dem Hügel der Dom, 983 von Mönchen gegründet. Romanisch ist der untere Teil des massiven Gebäudes, gotisch die Mitte, und obendrauf ließ der preußische König noch Mauern mit einem gewaltigen Dach setzen, auf dem sich die angeblich größte deutsche Dohlenkolonie breitgemacht hat. Erheben die Domspatzen in der Kirche ihre hellen Stimmen, empfinden das die Domdohlen als Konkurrenz und krakeelen lautstark.

  • Auskunft: Tourismusverband Altmark e.V., Marktstrasse 13, 39590 Tangermünde, Tel.: (039322) 34 60, E-Mail: tv@altmarktourismus.de, www.altmarktourismus.de oder IMG - Investitions- und Marketinggesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt mbH, Am Alten Theater 6, 39104 Magdeburg, Tel.: (0391) 562.83.820, E-Mail: tourismus@img-sachsen-anhalt.de, www.sachsen-anhalt-tourismus.de
  • Anreise: Mit der Bahn nach Stendal und weiter nach Tangermünde. Mit dem Auto über die A 2 Hannover-Berlin
  • Empfehlenswert: Wolfgang Lippert, »Warum der Fuchs die Altmark mag», Rainer Große Verlag. Der Zoologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Heinrich Dathe und Kameramann für Tierfilme beim DDR-Fernsehen, beschreibt die reiche Tierwelt der Altmark. Das Büchlein gibt es in den Tourismus-Filialen.
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