Brutale Messerattacke in der U 9

Zwei Jugendliche verletzt, Polizei zählt insgesamt weniger Kriminalität im öffentlichen Nahverkehr

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Sichtbare rot-rote Maßnahme: Wiedereingeführte Doppelstreifen von BVG und Polizei in der U-Bahn
Sichtbare rot-rote Maßnahme: Wiedereingeführte Doppelstreifen von BVG und Polizei in der U-Bahn

Erneut ist es in einem Berliner U-Bahnhof zu einem brutalen Gewaltübergriff gekommen. In der Nacht zu Freitag erlitten zwei junge Männer im Alter von 20 und 21 Jahren schwere Stichverletzungen im Oberkörper und Oberarm durch einen Unbekannten. Tatort war der U-Bahnhof Zoo. Ein 20-Jähriger schwebte nach der Attacke in Lebensgefahr und musste nach Angabe eines Polizeisprechers notoperiert werden, auch ein 21-jähriger Begleiter des Schwerstverletzten musste ambulant in einer Klinik behandelt werden.

Zuvor waren die Beiden mit drei weiteren unbekannten Männern in einem Waggon der U 9 aus nichtigen Gründen in Streit geraten. Als die Kontrahenten am U-Bahnhof Zoologischer Garten den Zug verlassen hatten, entfernten sich zwei der drei Unbekannten, einer kehrte jedoch zurück, offenbar um die Auseinandersetzung fortzuführen. Als auch dieser Mann verschwand, setzten der 20- und 21-Jährige ihre Fahrt mit der U-Bahn fort, erst in der Bahn stellten sie dann die schweren Stichverletzungen fest. Die alarmierte Feuerwehr brachte die Verletzten in ein Krankenhaus.

»Eine Mordkommission ermittelt nun wegen des Verdachts des versuchten Totschlags«, erklärt der Sprecher der Berliner Polizei, Frank Millert. Nach den drei Unbekannten wird gefahndet. Üblichweise sichern die Beamten in einem solchen Fall die Video-Aufnahmen der BVG aus dem U-Bahnhof. Genauere Angaben zu der Fahndung und den Ermittlungen wollte Millert gestern jedoch zunächst nicht machen.

Der schreckliche Vorfall reiht sich ein in eine ganze Serie von schweren Gewaltübergriffen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Berlin, die auch bundesweit für Aufsehen gesorgt hatten. Ein 30 Jahre alter Handwerker, der im Februar dieses Jahres im U-Bahnhof Lichtenberg von vier Jugendlichen zusammengeschlagen wurde, lag wochenlang mit lebensgefährlichen Hirnverletzungen im Koma. Auch Wochen nach dem Überfall konnte er kaum sprechen. Für große Unruhe in der Bevölkerung sorgte ebenso ein Angriff im U-Bahnhof Friedrichstraße vom April, bei dem ein 18-Jähriger seinem 29-jähriger Opfer brutal auf den Kopf sprang, was Kameras aufgezeichnet hatten.

Auf diesen Angriff reagierte der rot-rote Senat Mitte Mai mit einem Sicherheitspaket für den öffentlichen Nahverkehr. 200 zusätzliche Beamte sollen künftig gemeinsam mit der BVG für mehr Sicherheit sorgen. »Eine nicht mehr existierende Hemmschwelle« bei Jugendlichen konstatierte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) damals besorgt. Auch die Video-Überwachung sollte verschärft werden, was allerdings der Koalitionspartner der SPD, die LINKE, ablehnt. Die Berliner CDU kochte auf dem Thema unterdessen ihr ganz eigenes Wahlsüppchen: Sie druckte eine Postkarte in einer Auflage von 2500 Stück, auf dem der Angriff auf den Handwerker im U-Bahnhof Lichtenberg vom Februar zu sehen ist. »Sicher?« heißt es in dicken roten Lettern auf der fragwürdigen Postkarte. Bei einer Angehörigen des Opfers stieß so eine Instrumentalisierung auf heftigen Widerspruch.

Die Berliner Polizei nun präsentierte gestern auf einer Pressekonferenz ihre Analyse der Kriminalitätsentwicklung im öffentlichen Nahverkehr. Denn trotz der furchtbaren neuerlichen Attacke ist der Trend ein anderer. Zwar stieg die Zahl der Körperverletzungen im Vergleich zu 2010 im ersten Halbjahr dieses Jahres mit 51 Fällen leicht um 3,6 Prozent an. Doch insgesamt sinken die Kriminalität und auch die Anzahl der Rohheitsdelikte (Raubstraftaten, Körperverletzungen, Straftaten gegen die persönliche Freiheit) seit Jahren kontinuierlich ab.

Und obwohl im ersten Halbjahr 2011 eine sehr starke Zunahme bei Fahrraddiebstählen und Taschendiebstählen zu verzeichnen ist (plus 50,4 Prozent bzw. plus 47,4 Prozent), sieht Thomas Dublies, der Polizeidirektor für den öffentlichen Nahverkehr bei der Berliner Polizei, keine Trendumkehr. »Bei einer langfristigen Betrachtung der Straftaten im öffentlichen Personennahverkehr von 2007 bis 2011 ist ein Absinken ungebrochen.«

Dublies vermittelt zudem, dass Deutsche Bahn, BVG und Berliner Polizei gut genug aufgestellt sind, um das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste und Bahnkunden in Berlin wieder herzustellen. Dafür würden repressive und präventive Maßnahmen sowie die wiedereingeführten Doppelstreifen der Polizei mit der BVG sowie Sondereinsätze der Berliner Polizei mit 60 Beamten an den zwölf großen Umsteigebahnhöfen in den Abend- und Nachtstunden sorgen, die seit Mai durchgeführt werden. »Das stößt in der Bevölkerung auf Durchweg positive Resonanz«, berichtet Dublies. Generell gelte jedoch immer: »Gewalttaten können nie völlig ausgeschlossen werden.«

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