- Sport
- Nachschuss
Die Mär vom guten Organisator
Wenn die Fußballerinnen aus aller Welt dieser Tage gefragt werden, was sie denn von der WM so halten – und das wurden sie oft –, hörte man meist zweierlei Lob: »Die vielen Zuschauer verbreiten eine tolle Stimmung.« Und: »Das Turnier ist wirklich toll organisiert. Das können die Deutschen ja gut«, sagte mir etwa Schwedens Stürmerstar und Vortänzerin Lotta Schelin. Das mit den Zuschauern stimmt, das mit der Organisation nur bedingt. Ein Auszug aus meiner persönlichen Pannenliste:
Am Tag der Eröffnung sitze ich im Sinsheimer WM-Stadion und teste, ob die Internetverbindung an meinem Arbeitsplatz funktioniert. Sie tut es nicht. Es dauert eine Weile, bis ein Fachmann sich der Sache annimmt, und mir schließlich erklärt: »Tja, ihr Switch funktioniert nicht. Komisch, gestern ging er noch.« Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, was ein Switch ist.
In Leverkusen stehe ich zwei Tage danach vor dem verschlossenen Medienzentrum. Der Portier teilt mir mit, dass sich die Öffnungszeiten geändert haben. Natürlich ohne Benachrichtigung der Betroffenen. Es fällt schwer, ihn nicht anzubrüllen, aber er kann nichts dafür.
In Wolfsburg stehe ich wieder ein paar Tage später verloren am Hauptbahnhof und warte auf den nicht existenten Shuttlebus, der mich zum Stadion hätte fahren sollen. »Den haben wir abgesetzt, weil zu wenige ihn nutzen wollten«, sagt mir der Verantwortliche am Telefon. Ihn brülle ich an: »Ich will ihn gerade benutzen!«. Es bringt nichts. Ich muss laufen.
In Frankfurt fällt auf einmal das gesamte Internet auf der Pressetribüne und im Medienzelt aus. »Da hat einer sein Kabel zurück in den Switch gekoppelt«, erläutert der hiesige IT-Fachmann. Dieser Switch ist übrigens eine Art Verteilerdose, nur nicht für Stromstecker, sondern für Internetkabel.
Pünktlich zu Spielbeginn funktioniert wieder alles – nun ja fast alles. Auf der Pressetribüne surfen alle Kollegen im Internet, nur bei mir funktioniert wieder nichts. Hallo nächster Experte! Er krabbelt unter meinen Tisch, kommt wieder raus und sagt stolz: »Ich weiß, wo der Fehler liegt. Ihr Switch funktioniert nicht.« Ich lächle sehr finster und frage mich, woher wir Deutsche nur dieses Image haben.
Letztlich wurde alles immer noch rechtzeitig repariert. Nur einen Shuttlebus habe ich nie gesehen. Die WM hält mich fit.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.