Partyparade für freie Ufer
Tausende Gegner des Bauprojekts Mediaspree forderten die Umsetzung des Bürgerentscheids
Man hätte es auch für eine große Party halten können. Unter strahlendem Himmel tanzten am Samstag fast 2000 Jugendliche zu Technobeats und Reggae-Klängen durch die Stadt. Mit elf Musikwagen zogen sie durch Friedrichshain und Kreuzberg, in den Händen Bierflaschen, Club Mate und Eistüten. Doch es ging um mehr, als nur das eigene Vergnügen. Was nach Freizeitspaß aussah, war eine Demonstration gegen das Großbauprojekt Mediaspree, das entlang der Flussufer Gebäude für Medienunternehmen, Büros, Lofts, Hotels und andere Neubauten errichten will.
Die Demoparade unter dem Motto »Bürgerentscheid umsetzen – steigende Mieten stoppen« fand anlässlich des dritten Jahrestags des Bürgerentscheids statt. 2008 hatten sich fast 90 Prozent der Anwohner gegen das Projekt und für ein »Spreeufer für alle« ausgesprochen. Verlangt wurden mindestens 50 Meter Uferabstand für Neubauten, keine neuen Hochhäuser und keine Autobahnbrücke. In der Nähe der O2-Arena an der Mühlenstraße wollen der Häuserbauer Vivico und der Autokonzern Mercedes dennoch ein neues Hochhaus errichten.
Der Bürgerentscheid müsse endlich umgesetzt werden, lautete daher die aktuelle Forderung. »Es soll nicht mehr nur nach den Interessen der Investoren, sondern nach denen der Anwohner geschaut werden«, sagte Lena, die ein aus Pappe gebasteltes Hochhaus mit der Aufschrift »Kommerz« trug. Der Protest richtete sich auch gegen die steigenden Mietpreise und die Verdrängung in Randbezirke.
Die Abschlusskundgebung sollte eigentlich am Spreeufer hinter der East-Side-Gallery stattfinden, die Polizei hatte das aber aus Sicherheitsgründen untersagt. Eine Eilklage der Organisatoren vom Initiativkreis »Mediaspree versenken« wurde abgewiesen. So gab es also eine Demo für freie Spreeufer, die nicht an die Spree durfte. »Das ist peinlich für die Demonstrationskultur«, fand Carsten Joost von »Mediaspree versenken«. Die Teilnehmer ließen sich jedoch nicht beirren. Sie belagerten friedlich tanzend den Stralauer Platz, während die rund 300 Polizisten, die im Einsatz waren, um das abgesperrte Gelände zu bewachen und Ausschreitungen zu verhindern, kaum etwas zu tun hatten.
»Wir wollen, dass die Kulturprojekte bleiben und in die künftigen Planungen einbezogen werden«, schallte Joosts Stimme aus einem der Lautsprecher. Von Mediaspree unmittelbar bedroht sind Clubs wie das Yaam oder das Kiki Blofeld. Die 30-jährige Jenny fand: »Sie haben viel zur kulturellen Vielfalt der Stadt beigetragen und die Vorarbeit geleistet, damit Berlin zum attraktiven Standort wurde. Sie jetzt zu vertreiben, ist eine Frechheit.« In der Hand hielt sie ein Schild mit der Aufschrift »Mehr Räume für Träume«.
Welche Träume die Bürger für ihr Spreeufer haben, wird derzeit ausgelotet. Bis zu den Wahlen im September läuft ein Ideenaufruf von »Mediaspree versenken«. Gesammelt werden alternative Konzepte zum Umgang mit dem Kreuzberger Uferbereich. Die Gewinnervorschläge sollen dem Bezirk als offizielle Empfehlung vorgelegt werden, erklärt Joost. Es sei bereits die Bereitschaft signalisiert worden, die Bürgerideen in die Pläne für die landeseigenen Grundstücke an der Schillingbrücke einzubeziehen. »Das ist eine richtige Demokratieübung – Stadtplanung von unten«, freut er sich. Die zahlreichen Bürgerproteste gegen Mediaspree zeigen also doch Wirkung – zumindest in Teilbereichen.
Infos unter www.ms-versenken.org
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.