Stresstest bestanden
Zumindest virtuell funktioniert das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21
Als gestern Nachmittag die Meldung die Runde machte, Stuttgart 21 habe den Stresstest bestanden, überraschte das wohl niemanden mehr. Nur wenige Stunden zuvor hatte das Aktionsbündnis gegen S21 verkündet, es werde sich nicht an der öffentlichen Präsentation des Stresstests beteiligen. Da die Bahn sich trotz wiederholter Aufforderung geweigert habe, die Grundlagen für die Dateneingabe des Tests zu nennen, wolle man nun nicht »als Staffage in einer Pseudo-Diskussion dienen«, erklärte die baden-württembergische BUND-Vorsitzende Brigitte Dahlbender. Dies und die detaillierten Erklärungen der S21-Gegner zu technischen Unklarheiten der Bahnsimulation ließen darauf schließen, dass das Stresstest-Gutachten positiv ausfallen würde.
Der Stresstest für Stuttgart 21 war Ergebnis der Schlichtung vom vergangenen Dezember. Schlichter Heiner Geißler (CDU) hatte gefordert, das die Bahn in einer Simulation »den Nachweis führen müsse, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist«. Den Gutachter SMA hatte das Aktionsbündnis durchgesetzt. Auf mehr als 200 Seiten nehmen die SMA-Fachleute den Stresstest unter die Lupe. Entscheidend ist der Satz auf Seite 7: »Unsere Prüfung der Simulationsergebnisse hat gezeigt, dass die geforderten 49 Ankünfte im Hauptbahnhof Stuttgart in der am meisten belasteten Stunde und mit dem der Simulation unterstellten Fahrplan mit wirtschaftlich optimaler Betriebsqualität abgewickelt werden können.« Zwar gebe es in dem Bahnmodell »eine Anzahl Unstimmigkeiten«, so die SMA, doch deren Umfang dürfte das Gesamtergebnis nur leicht verändern.
Für die Gegner des unterirdischen Bahnhofs ist der Begriff »wirtschaftlich optimal« für einen Fahrplan der Stein des Anstoßes. Sie wollen einen Fahrplan, der Verspätungen wieder einholt. Denn ansonsten wäre der Tiefbahnhof ja keine Verbesserung zu heutigen Zeiten. Schließlich gehört der jetzige überirdische Kopfbahnhof zu den pünktlichsten Bahnhöfen Deutschland, eben weil hier Verspätungen aufgeholt werden können. Ein solcher Fahrplan bekommt in Fachkreisen das Qualitätsprädikat »Premium«. Aber Premium geht nur, wenn die Schienen gering ausgelastet sind und das ist unwirtschaftlich. Also will die Bahn lieber einen »wirtschaftlich optimalen« Fahrplan und der zeichnet sich dadurch aus, dass Verspätungen sich nicht vergrößern, erklärt die SMA.
Hannes Rockenbauch, Sprecher des Bündnisses, erklärte, man werde sich das Gutachten nun sorgfältig anschauen. »Drei Wochen benötigen wir sicherlich dafür.« Die Aussagekraft des Gutachtens hält er für begrenzt: »Die SMA konnte prüfen, ob das Computerspiel der Bahn nach den Bedingungen der Bahn funktioniert und nicht, ob die Simulation etwas mit der Realität zu tun hat.« Die verkehrspolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Sabine Leidig, geht noch weiter und spricht von einem »Gefälligkeitsgutachten», das die SMA abgeliefert habe, weil sie von der Bahn finanziell abhängig sei.
Die Bahn jedenfalls freut sich auf den kommenden Dienstag, wenn sie unter der Regie von Heiner Geißler den Stresstest öffentlich vorstellen kann. Technikvorstand Volker Kefer: »Wir fühlen uns bestätigt.« Das Gutachten hat die Bahn auf ihrer Internetseite www.deutschebahn.com veröffentlicht. Die Diskussion darüber dürfte in den kommenden Wochen heiß werden.
Die Ingenieure der SMA ahnen dies offenbar. Im Vorwort ihres Gutachtens, das sie selber Audit nennen, heißt es: Das Audit sei in den Medien »zu einer Art Schicksalsfrage über Leben oder Tod des Projektes Stuttgart 21 hochstilisiert« worden. Diese Interpretation sei nicht zulässig. Zwar wäre das Resultat des Stresstest ein »wichtiger Beitrag zur Beurteilung des Projekts«. Neben dem Fahrplan gebe es »aber auch noch andere wirtschaftliche und städtebauliche Nutzen, denen die Investitions- und späteren Unterhaltskosten gegenüber zu stellen sind, um ein vollständiges Bild des Gesamtprojekts zu erhalten«. Nachdrücklich heißt es zum Schluss: »Die Verantwortung für den Gesamtentscheid tragen weiterhin die Projektpartner.« Ob die Planer nun grünes Licht erhalten, bleibt abzuwarten. Schließlich hat auch die Landespolitik noch ein Wörtchen mitzureden.
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