Quengeln, was das Zeug hält

»Der eingebildete Kranke« nach Molière heilt sich im Amphietheater

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Da senden die Komödianten des Hexenkessel-Hoftheaters immer vorsorglich vom Applaus etwas zum Himmel. Ein bisschen half das wohl bei der Premiere »Der eingebildete Kranke«. Tatsächlich ließ der Regen für die Zeit der Vorstellung nach. Sie fiel nicht ins Wasser.

Jean Baptist Molières Werk macht sich gut als drittes Stück der Saison im Amphitheater. Harmonisch vereinen sich in dieser Inszenierung Bühnenbild, Kostüme, Musik und Schauspiel. Auch ohne Regen ist alles wie aus einem Guss. Das Stück beginnt mit einer fantastischen Idee. Regisseur Jan Zimmermann empfand für das erste Bild mit den Möglichkeiten der Bühne Leonardo da Vincis »Der vitruvianische Mensch« nach. Dem wird von Medizinern gleich übel mitgespielt.

In seiner Stückfassung – wie immer selbst übersetzt – verzichtet Zimmermann ohne Verlust auf einige Rollen des 1673 uraufgeführten Werkes. Beispielsweise auf die des Apothekers. Keineswegs eine bittere Pille. Schließlich sind bis heute dessen Nachfolger grundsätzlich nie an nix schuld. Also ernten in der herrlichen Komödie, die von allen Schauspielern vehement gezeigt wird, vorzugsweise der Hypochonder und der Mediziner den Spott. Verordnet von Monsieur Molière, der so krank war, dass ihm kein Arzt helfen konnte.

Als Argan, der eingebildete Kranke, quengelt Matthias Horn, was das Zeug hält. Er hat sich selbst in Watte gepackt. In seinem gepolsterten Anzug wärmt Argan nicht nur seine vermeintlichen Leiden, sondern auch Dinge von Wert. Wer erben will, will nicht warten. So bringt sich seine Frau in eifriger Sorge um ihn scheinbar um. Dieser Rolle gibt Katja Höppner Eitelkeit und Egoismus in zickiger Deutlichkeit. Die Dame von der Sorte, die man nach der Spinnenart Schwarze Witwe benennt, ruft aus, sie hätte die besten Wochen ihres Lebens mit dem kranken Mann vergeudet. Überdies treibt sie es eifrig mit dem Notar Monsieur De Bonnefoy. Ihn und den emsig kassierenden Arzt spielt Tobias Schulz frech wie liebedienernd.

In der Tat einen guten Arzt brauchte der Schauspieler Vlad Chiriac. Eine Erkältung hatte ihm unmittelbar vor der Premiere die Stimme geraubt. Er legte alles Können in die Gestik, während die sich tapfer schlagende Regieassistentin Hannah Walther seine Rollen als Cléante und Diaforius einsprach. Die Notlösung wurde vom Publikum akzeptiert, zumal sie zusätzlich Komik brachte. Bereits für die zweite Vorstellung gab es Umbesetzungen.

Carsta Zimmermann wird – bis Chiriac wieder gesund ist – mehr Arbeit in dem Stück haben, für das sie ursprünglich allein als die Dienerin Toinette vorgesehen war. Als diese von Molière erdachte bodenständige Person mit dem gesunden Menschenverstand ist sie sehr gut und überzeugt auch als Vertraute von Argans Tochter Angélique. Rebekka Köbernick spielt das junge Mädchen wunderbar eigenwillig und in Cléante verliebt. Einmal herein gestolpert vertritt ihr Liebster angeblich den erkrankten Gesangslehrer im Hause Argan. Singend gestehen sich die jungen Liebenden ihre Gefühle füreinander vor dem Vater. Dessen Kulturverständnis kam jedoch über das Wissen um Bakterienkulturen nie hinaus. »Wenn das Kunst ist, kann das weg«, ruft der Vater.

Die Dienerin Toinette ist es, die Argan auf die Idee bringt, sich tot zu stellen, um herauszufinden, wer wirklich um ihn trauern würde. Die Szene ist wirkungsvoll in Dunkel getaucht. Jefferson Petro erscheint in dem Albtraum als Gevatter Tod mit einer Sanduhr. Argan kommt zu dem Schluss: »Das Leben ist gemein, der Tod unzumutbar.«

David Regehr hat die Bühne mit einer Folienwand ergänzt. Man sieht, was sich hinter dem Rücken Argans abspielt. Die oberen Etagen werden punktuell genutzt. Angélique zieht sich dorthin des öfteren zurück. Einmal, um zur Musik des Akkordeonspielers (Eugen Schwabauer) zu singen. Die Rolle des durch die Komödie schlendernden Musikers mag jeder deuten, wie er will. Er kann die Melodie des Lebens sein, das Schicksal, alles. Die Musik zum Stück ist von Markus Götze perfekt gemacht. Sommer, komm wieder!

Di.-Sa., 21.30 Uhr, Amphitheater, Monbijoupark, Monbijoustr. 1, Mitte, Tel.: (030) 288 86 69 99, www.amphitheater-berlin.de

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