Der Irrweg der türkischen Familie Sürücü
Der Ehrenmord an der jungen Frau Hatun in einem Film der ARD
Zu freizügig, zu offen, was den Umgang mit Männern betreffe, war der Vorwurf, den Ayhan Sürücü seiner Schwester Hatun machte. Sie hatte sich von ihrem Mann getrennt und von der Familie emanzipiert, sie führte mit ihrem Sohn ein eigenes Leben. Bei einem Streit habe seine Schwester ihm gesagt, sie schlafe mit den Männern, mit denen sie wolle, berichtet Ayhan nun erstmals in einem ARD-Film. »Da habe ich einfach nicht mehr nachgedacht.« Er schießt seiner Schwester dreimal in den Kopf.
Ein sogenannter Ehrenmord, der 2005 bundesweit Empörung auslöste. Der Film »Verlorene Ehre – Der Irrweg der Familie Sürücü« zeigt in einer aufwendigen Spurensuche die familiären und gesellschaftlichen Hintergründe. 35 Jahre lebten die Sürücüs in Berlin-Kreuzberg. Mitten in Berlin, mitten in Deutschland, aber trotzdem in einer völlig anderen Welt, wie die beiden ARD-Journalisten Matthias Deiß und Jo Goll in ihrem Film und einem begleitenden Buch (»Ehrenmord. Ein deutsches Schicksal«) analysieren. Eine Welt, in der viele türkische und kurdische Familien streng nach archaischen Prinzipien leben, vor allem auf Kosten der Frauen.
Ayhan Sürücü sitzt seit der Tat im Gefängnis. Neun Jahre Haft lautete das Urteil, seine beiden mit angeklagten Brüder sind in die Türkei geflohen. Dass seine Familie die Tat geplant habe, bestreitet er auch heute. Dagegen stellt der Film die Aussage der damaligen Freundin von Ayhan. Melek A. sagte im Prozess aus, danach mussten sie und ihre Mutter in ein Zeugenschutzprogramm. »Sie haben es mir erzählt«, sagt sie über die Brüder. Der zweite Bruder, Alpaslan, habe ihr erklärt: »Eine Ungläubige zu töten, ist keine Sünde.«
Bis in die Ost-Türkei fahren die Filmemacher. Eine Bewohnerin meint: »Egal, welche Sünde eine Frau begeht, man darf sie nicht töten.« Ein Onkel des Täters verteidigt den Mord: »Das war richtig. Sie ist mit einem anderen Mann zusammen gewesen.«
Nach einer fünfjährigen Therapie im Gefängnis sagt Ayhan heute: »Ich denke, da habe ich den größten Fehler meines Lebens gemacht.« Ayhan habe sich geändert, sagt Matthias Deiß. Echte Gefühle oder gute Worte für Hatun habe er aber nicht gezeigt.
27. Juli, 23 Uhr, ARD
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