Norwegische Debatten über das Strafmaß
Möglichwerweise Klage wegen Vebrechen gegen die Menschlichkeit
Oslo (Agenturen/ND). Bislang beruft sich die norwegische Polizei bei ihren Ermittlungen zu den Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya auf einen Terrorparagrafen. Bei einer Verurteilung drohen dem 32-jährigen Anders Behring Breivik höchstens 21 Jahre Haft. Vielen Norwegern erscheint das zu kurz, auch wenn die Maximalstrafe nachträglich im Einzelfall bei anhaltender Gefährlichkeit des Täters mehrfach um je fünf Jahre verlängert werden kann.
Bei einer Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit könnte gleich von vorneherein eine Höchststrafe von 30 Jahren verhängt werden. Eine solche Anklage würde auf Paragraf 102 des norwegischen Strafgesetzbuches beruhen, der unter anderem die Verfolgung von Menschen aus politischen Gründen unter Strafe stellt.
Paragraf 102, der bisher noch nicht angewandt wurde, gibt es erst seit 2008. Norwegen nahm ihn seinerzeit ins Strafgesetzbuch auf, um völkerrechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Konkret handelt es sich dabei um Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden laut diesem Statut als Handlungen gegen die Zivilbevölkerung im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs definiert. Unter Strafe gestellt werden etwa vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung, Vertreibung, Freiheitsentzug, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei und die Verfolgung aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen.
Das Römische Statut setzt zur Strafverfolgung zwar eine Beteiligung des Staates an Verbrechen gegen die Menschlichkeit voraus, diese Voraussetzung wurde jedoch nicht ins norwegische Recht übernommen. Daher könnte der norwegische Paragraf 102 im Fall Breivik angewendet werden, argumentieren Strafrechtler. Es sei jedoch eine Frage der Auslegung. Ein Strafverteidiger könnte dagegen argumentieren, dass der Paragraf eben internationales Recht umsetze, in dem ausdrücklich von einer Beteiligung des Staates ausgegangen werde. Und die sei in diesem Fall nicht gegeben.
Bislang sei eine Verfolgung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur »eine Möglichkeit«, sagte Staatsanwalt Christian Hatlo der Zeitung »Aftonbladet«. Polizeisprecher Sturla Heinriksbö erklärte, es sei »nicht ausgeschlossen«, dass sich die Anklage auf weitere Tatbestände berufen werde.
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