Gleichnis zum Schicksal einer Ethnie
In der Galerie Kai Dikhas inszeniert die britische Roma-Künstlerin »Delaine Le Bas. Hexenjagd«
Vollgestopft mit Exponaten ist der eh kleine Raum der Galerie Kai Dikhas am Moritzplatz. In seiner zweiten Ausstellung seit Eröffnung vor wenigen Monaten bietet der künstlerische Leiter Moritz Pankok einer weiteren Vertreterin der Roma und Sinti die Chance, sich mit ihren Werken hier zu präsentieren. Delaine Le Bas, 1965 in West Sussex geboren, in London zur vielseitigen, international erfolgreichen Künstlerin ausgebildet, stellt beim Debüt in Berlin ihre Installationen unter einen gemeinsamen Titel. »Hexenjagd« spielt auf die Verfolgung an, der Frauen nicht nur im Mittelalter, Roma und Sinti zu fast allen Zeiten ausgesetzt waren.
Die Fülle des Raums mag auch das dicht gedrängte, von Wanderschaft und Flucht geprägte Leben der Zigeuner spiegeln. Zwei digitale Repros von Holzstichen aus dem 17. Jahrhundert liefern den Bezug: Einer »Wassertortur«, die mit dem Tod des Ertrinkens endet, ist die an Armen und Beinen zusammengebundene Frau ausgesetzt; aus einem Blockhaus, an das jemand klopft, fahren auf dem Besen »Hexen« aus dem Schornstein auf. Dritter Fixpunkt ist das Selbstporträt »Tiger. Tiger« der Künstlerin, ein digitaler Farbprint, auf dem ihr ein überlagerter Tiger ins Gesicht brüllt. Auch die sieben als »Hexenjagd« geklammerten Installationen stammen aus den letzten vier Jahren.
Durchs Fenster sieht man bereits »Tableau«. Alles Zubehör hat Le Bas auf Trödelmärkten aufgekauft und nach eigener Fantasie zum räumlichen Stillleben gefügt. Zentrum ist ein emailliertes, angerostetes Schaukelpferd, von dem eine Mädchenpuppe in eine Rummelplatz-Guillotine hineinragt, den Kopf bereits abgeknickt. Zwei bunt vermummte Frauen, ein Arm fehlt, eine Hand gebrochen, sehen so starr wie blicklos zu, leiden selbst, nicht nur an der demolierten Kleidung.
Überflüssig geworden sind als Spielzeug Puppe und Frosch. Dominanter Mittelpunkt des Raums und begehbar ist die »Stoffkapelle«. Unter scherenschnitthaft durchbrochenem Dach liegt auf Teppichen eine gestürzte weibliche Figur in Tüll und mit verdrehtem Kopf; eine stehend drapierte Kinderpuppe, um den Kopf Tigermuster, hält die Liegende wie beim Karneval an bunten Bändern, erinnert auch an den Delphischen Wagenlenker. Kleine Nachttischlampen erhellen, im Hintergrund thront mit wächsernem Gesicht eine Frauengestalt, die Silhouetten von vier fliehenden Mädchen, zauberhaft bestickt und appliziert, zieren die Zeltwände. Betrachtet man jenen Bildschmuck genauer, kehrt sich der frohe erste Eindruck ins Beklemmende um. Gerippe sind zu erkennen und ein Kleid mit Totenköpfen, die indische Göttin als Verweis auf die Herkunft der Ethnie, Sensenmann und Mickey Mouse, Zitate auch der Kunstgeschichte. Der düsteren Symbolik entspricht ein Banner am Zelteingang: »Fear is control« liest man da und »gipsy witch«.
»Politics of Fear« nimmt das Thema Angst auf. Die in vorherigen Ausstellungen jeweils ergänzte, weitflächige Papierwand enthält Le Bas Version der Menschenrechts-Charta, hingekritzelt eine blutspeiende Mickey Mouse, fragt »Are we suspicious and selfish creatures?«, wirft als Schlagworte »Sündenbock« und »Hexenjagd« in den Diskurs. Wieder platziert Le Bas vor dem Wandbild eine weibliche Puppe, diesmal in blumigem Kleid, die Hände mit dem Gürtel gefesselt, auch hier der Kopf verhüllt mit Stoff, den wieder bedrohlich Sicherheitsnadeln zusammenhalten. Zum »Triptychon« reihen sich daneben an der Wand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, drei weiße Overalls, auf denen »speak, hear, see no evil« steht; statt Köpfen tragen sie collagierte Textilkunst aus Pailletten und Stickerei. Über jenen Köpfen an der Decke führt ein dickes Seil auf die andere Raumseite: Dort hängt wie am Galgen das lange weiße Kleid einer »Braut« unterm Kranz; ein Unglücks-Rabe im Frack mischt der tragischen Szene makabre Töne bei. Von ähnlicher Qualität auch die »Schamanische Figur«: Weißer Karton mit konfektionierten Blumenbildchen und der Aufschrift »we live with death every second« grundiert eine Frauenfigur im malerisch designten Tüllkleid mit magisch bunten Glaskugeln und perlbesticktem Beutel. Auch hier ist unter allem Federschmuck der Kopf umhüllt als Metapher für ein Leben ohne Gesicht und ohne wirklich wahrgenommen zu werden. Wohl Le Bas persönliche Empfindung, zugleich Schicksal einer Volksgruppe.
Bis 19.8., Di.-Sa. 11-18 Uhr, Galerie Kai Dikhas, Prinzenstr. 85 D, Kreuzberg, Tel.: 030 34 39 93 09
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