Stuttgart: Schlichtung ohne Einigkeit

Bahnhofsprojekt bleibt umstritten – der Ton zwischen Gegnern und Geißler deutlich verschärft

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Ton zwischen Gegnern und Befürwortern von Stuttgart 21 hat sich deutlich verschärft. Das zeigte sich gestern bei der öffentlichen Präsentation des Stresstests. Mehr als sieben Stunden saßen die Lager zusammen und warfen sich gegenseitig vor, die Testergebnisse falsch zu interpretieren. Seine Abschlussempfehlung gab Schlichter Heiner Geißler erst nach Redaktionsschluss ab.
Zeichnung: Harm Bengen
Zeichnung: Harm Bengen

Bestanden oder durchgefallen? Darum sollte es eigentlich gestern im Stuttgarter Rathaus gehen. Mit der öffentlichen Präsentation des Gutachtens zum Stresstest wollte man einen Schlusspunkt unter die Schlichtung setzen, die Ende vorigen Jahres mit einem Faktencheck begonnen hatte. Schließlich war der Stresstest eine der Aufgaben gewesen, die Heiner Geißler der Bahn damals mit auf den Weg gegeben hatte. Und dieser Test sollte klären, ob der unterirdische Bahnhof 30 Prozent mehr Züge schafft als der jetzige Kopfbahnhof. Die Gegner von S21 sagen, das sei nicht der Fall. Die Bahn befindet, S21 hat den Test bestanden.

Von zahlreichen Kameras begleitet, traf man sich also wieder zum Diskutieren. Der Unterschied zum Dezember: Die Regierungsteilnehmer hatten gewechselt. Statt der damaligen Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) saß nun der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann im vierten Stock des Rathauses.

Im dritten Stock konnten Interessierte die Sitzung auf einer Großbildleinwand beobachten. Hier trafen Befürworter und Gegner mal wieder aufeinander. Je nachdem, wer gerade auf dem Bildschirm argumentierte, buhten sich die Lager gegenseitig an. Sprach Bahn-Technikvorstand Volker Kefer für den Bahnhofsbau, höhnten die S21-Gegner. Erklärte Hannes Rockenbauch vom Aktionsbündnis gegen S21, warum der Kopfbahnhof viel besser sei, stöhnten die S21-Befürworter laut auf. Vor dem Rathaus war es noch lauter. Dort sprach Schauspieler Walter Sittler gegen S21, Theatermann Volker Lösch ließ seinen Anti-S21-Sprechchor auftreten. Vor der Großbildleinwand hatten sich auf Bierbänken und auf dem Boden ab dem Morgen etwa 500 Demonstranten mit bunten Plakaten niedergelassen. »Eure Lügen – unser Zorn« war da zu lesen und auch »Stresstest – eine Show für Stuttgart 21«.

Die Trillerpfeifenkonzerte waren bis in den Verhandlungssaal hören, doch die Teilnehmer der Schlichtungs-Abschlusssitzung ließen sich davon nicht irritieren. Das Aktionsbündnis gegen S21 beklagte noch einmal heftig, dass es von der Bahn nicht in die Vorbereitung des Stresstests eingebunden worden sei. Die Pro-S21-Seite mit Bahnvorstand Kefer blieb deutlich ruhiger, wies allerdings Kritik entschieden zurück. »Ihre Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage«, beschied Kefer den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne), der detailliert erklärte, wo der Stresstest Mängel von S21 aufdeckt. Der für 16 Uhr angekündigte Abschluss ließ sich bei weitem nicht einhalten.

Der Widerstand gegen Stuttgart 21 soll auf jeden Fall weitergehen, heißt es von Seiten des Bündnisses. Schon in diesen Wochen beginnen die S21-Gegner damit, ins Land auszuschwärmen. In Vorbereitung auf die Volksabstimmung wollen sie ihre Argumente an den Mann und die Frau zu bringen. Geplant ist diese Abstimmung für November. Wenn die CDU wie angekündigt dagegen Klage beim Verfassungsgericht einreicht, könnte sich das Ganze ins nächste Jahr verschieben. Doch je länger die Bahn bauen kann, desto unsinniger werden Abstimmungen. Und selbst wenn die erforderliche Mehrheit der Baden-Württemberger dafür stimmt, dass das Land seine Finanzzusage über 800 000 Euro zurückzieht, ist nicht klar, ob Stuttgart 21 gestoppt wird. Genauso gut könnten die anderen Finanziers (Bahn, Region, Bund) ihren Anteil aufstocken oder – was wahrscheinlicher ist – die Bahn wird klagen und auf Vertragserfüllung pochen.

»S21 lässt sich nur auf der Straße verhindern«, ist Sybille Stamm vom Bündnis überzeugt. Sie glaubt, dass spätestens dann Massen auf der Straße sind, wenn die Bahn den Südflügel des jetzigen Hauptbahnhofes abreißt. Stamm: »Wenn die die Hacke ansetzen, geht's hier ab.«

Kommentar Seite 8

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.