Gesehen
Schluss mit der Dramatik
Irgendwann muss man Bilanz ziehen. Das ist menschlich. Um das diffus zu halten, vergewaltigten Politiker das Wort »Prüfstand«. Sie sagen, da stellen sie ihr Schaffen drauf. Machen sie aber nicht. Stattdessen bauen sie sich eine Art Feldherrenhügel. Von dort aus sehen sie auf die Menschheit herab und verkünden stolz, sie hätten etwas geschafft. Kurz gesagt, ganz schlechtes Theater. Die Battle-Autoren machen das anders. Sie berufen eine Jahreshauptversammlung ein. Und wie aus einem Erdloch lugend kommen sie zu dem Ergebnis: »Wir blicken stolz zurück und merken: Im Grunde genommen ist nichts passiert!« Ein bisschen Theater machen sie also auch. Doch das ist vergnüglich.
Die Gruppe von acht Theaterautoren, -regisseuren und Dramaturgen besteht seit 2007. Sie wanderte mehrere Berliner Kulturadressen ab und setzte sich im Theaterdiscounter (TD) in der Klosterstraße fest. Diese Leute reden viel miteinander. Über Texte und Autoren und darüber, wie sie sich Theater wünschen. Weil es den Leuten jedoch wie den Menschen geht, bekommen die im Einzelkampf Schreibenden kaum etwas von dem, was sie sich wünschen, sagen sie. Also veranstalteten sie ihr öffentliches Treffen als visionäre Performance mit dem Titel »Schluss mit der zeitgenössischen Dramatik!« Schöner Zufall mag gewesen sein, dass dies bei Vollmond im Zeichen des Steinbocks geschah. Das soll so ein Tag sein, an dem man Streit besser mit großzügiger Geste beendet, weil er sich sonst ewig hinzieht.
Aber den Dramatikern reicht's. Sie werden schlecht bezahlt und kaum gewürdigt. Deshalb wollen sie keine Texte mehr an die Theater geben. Sollen die doch Shakespeare spielen, Molière oder Müller bis Sankt Nimmerlein. Die Autoren würden indes natürlich weiter schreiben. Sie können gar nicht anders. Aber abgeben wollen sie davon erst mal nichts. Basta. Mal sehen, wann die Bühnen merken, dass nichts mehr passiert.
Die visionäre Performance im Theaterdiscounter war ulkig gemacht. Wer braucht hier eigentlich wen? fragten die Autoren. Die Theater sollen mal kommen! Sogar ein »Sonderbeauftragter für dramatische Kunst« war eingeladen, der jedoch in russischer Sprache über die Vorzüge Moldawiens referierte. Als solcher wurde Regisseur Oleg Myrzak zum Schweigen gebracht, damit die Veranstaltung beim Thema bleiben konnte.
Wie Myrzak sind auch die anderen Battle-Autoren, die sich hier selbst und andere ihrer Zunft verspotteten, keineswegs erfolglos und schon mit Preisen bedacht worden. Wenn auch niemand behaupten wird, dass sie damit reich würden – ihre Werke werden aufgeführt. Katharina Schlender, die den erwähnten Boykott verlas, schrieb u.a. »Der Zufriedene«. Rolf Kemnitzer ist Autor des Stücks »Die Bauchgeburt«, Andreas Sauter brachte »Alles in Ordnung« auf die Bühne. Oder Stefan Oppenländer, der diesmal den Boden fegte, ist anerkannter Bühnenbildner.
So konnte es am Ende nicht anders kommen, als dass die spöttelnden Battle-Autoren sich wieder vornahmen, gute Stücke abzuliefern. Andreas Sauter brachte ihre tiefe Liebe zum Theater auf den Punkt. Ein Schauspieler unter den Gästen stärkte ihnen mit einem schönen Lied über lohnenden Neuanfang dann noch den Rücken.
Also wird im Herbst neue Dramatik im TD aufs Tapet kommen. Um sie vorzustellen, erfanden die Battle-Autoren den »Drama-Tisch«. Ab September wird er wieder jeden 1. Dienstag im Monat im TD aufgestellt.
30.7., 3.-5.8., 20.30 Uhr, Theaterdiscounter, Klosterstr. 44, Mitte, Infos: www.theaterdiscounter.de und Tel.: 030 28 09 30 62
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!