Der Schwiegersohn als Terrorist

Anders Behring Breivik – der Massenmörder von Oslo und Utøya – und die deutschen »Islamkritiker«

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 6 Min.
Das »Manifest« des islamfeindlichen Attentäters von Oslo und Utøya, Anders Behring Breivik (Foto rechts), trägt eine erstaunlich unideologische und mittige Handschrift, er grenzt sich deutlich von Neonazis ab und bezieht sich auf »anerkannte« Autoren wie Henryk M. Broder. Die deutschen »Islamkritiker« sehen darin aber keinen Grund zum Innehalten. Breivik zitiert, was einer wie Henryk M. Broder eben so von sich gibt, wenn das Jahr lang ist und doch von der immergleichen ausgetretenen Plattform aus kommentiert werden muss. Dass etwa freiheitsliebende junge Europäer das dem Untergang durch Islamisierung geweihte Europa schnell verlassen sollten.

Henryk M. Broder hat derzeit ein ernsthaftes Männerproblem: Für seinen »Morris Traveller aus dem Jahr 1971« findet er kaum noch Ersatzteile. Selbst in England, wo das kultige Gefährt herstammt, würden dieselben allmählich knapp, hat der Publizist am Montag im »Tagesspiegel« gesagt: O tempora, o mores! Ansonsten aber sieht der »Islamkritiker« Broder keinen Anlass zum verschärften Nachdenken. Dass Anders Behring Breivik, der geständige Massenmörder von Oslo und Utøya, ihn mehrfach zustimmend, wenn wohl auch aus zweiter Hand, in seinem 1500-seitigen »Manifest« zitiert, gibt Broder jedenfalls keinen Grund zum Nachdenken. »Ich würde es heute wieder genau so sagen«, verkündet er trotzig im Berliner Qualitätsblatt. Und stellt die betreffenden Passagen aus dem Manifest des Killers sogleich ins Internet.

Breivik zitiert, was einer wie Broder eben so von sich gibt, wenn das Jahr lang ist und doch von der immergleichen ausgetretenen Plattform aus kommentiert werden muss. Dass etwa freiheitsliebende junge Europäer das dem Untergang durch Islamisierung geweihte Europa schnell verlassen sollten, dass der dominante Ethos der Europäer von der Haltung einer jungen Frau repräsentiert werde, die ihm einmal gesagt habe, es sei manchmal besser, sich vergewaltigen zu lassen als sich zu wehren, dass die Europäer den Weg der Unterwerfung gewählt hätten in dem Krieg, der anstehe und begonnen habe. Man kann Anders Breivik, der offenbar nicht Deutsch spricht, schon aufgrund der Sprachbarriere nicht als einen »Schüler« Broders bezeichnen. Und doch ist in den drei von Breivik wohl über einen norwegischen Hass-Blogger namens Fjordman übernommenen »Gedanken« Broders bereits sein ganzes Weltbild enthalten.

Kein Nazi und kein Ideologe

Wer sich das Manifest im Internet herunterlädt, stellt nämlich überrascht fest, wie wenig radikal – und schon gar nicht wahnsinnig – es klingt. Breivik schätzt sich selber als »kulturkonservativ« ein; die Überzahl der »Beweise«, die er für die Legitimität seiner Aktion herbeizitiert, könnte aus als seriös geltenden Medien stammen, wenn er nicht tatsächlich solche Medien zitiert: Die Muslime überschwemmen Europa durch Einwanderung und Geburtenrate, die Europäer sind naiv und wehren sich nicht, die Scharia ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch, Ehrenmorde an der Tagesordnung und ein linksliberales Meinungskartell von »Kulturmarxisten« verhindert jede Diskussion darüber. In etwa derlei haben viele gesagt, geschrieben oder drucken lassen in den Jahren seit den New Yorker Anschlägen im September 2001, von Frank Schirrmacher über Alice Schwarzer bis hin zur sich als links verstehenden Wochenzeitung »Jungle World«, ob mit oder ohne »Kulturmarxisten«.

Breiviks These vom »Kulturmarxismus« erinnert ein wenig an die Argumentation der selbst ernannten »Dresdner Schule« um den NPD-Philosophen Jürgen Gansel: Die Frankfurter Schule, Jacques Derrida und Konsorten haben Europa entmannt. Weiter geht die spezifisch rechtsextreme Ideologie bei Breivik allerdings nicht. Er ist ganz dezidiert kein Nazi, kein völkischer Antikapitalist – und auch die im Internet grassierende Welt der kommerziell vermarkteten Verschwörungstheorien Marke »New Order« oder »Bilderberg-Konferenzen«, die in verschiedenen Wirrkopf-Manifesten deutliche Spuren hinterlassen haben, faszinieren den Mörder von Oslo und Utøya offenbar nicht im Geringsten; auch auf die neuheidnisch-satanistischen Symbole und Riten, die in der skandinavischen Rechts-Metalszene weit verbreitet sind, finden sich keine Bezüge in der Schrift.

Im Gegenteil könnte Breivik, ohne sich groß verstellen zu müssen, an vielen bürgerlichen Mittagstischen mitdiskutieren, wo man über die Ausländer ja auch allerlei »wieder sagen darf«: Breivik befürwortet im großen und ganzen die Marktwirtschaft und das Welthandelssystem, bewundert die USA und Israel für ihren »Kampfgeist«, kritisiert den »islamischen« wie den europäischen Antisemitismus und könnte sich als Schwiegersohn sicherlich recht intelligent über Literatur und Filme unterhalten.

Kindliches Ideal, rationale Kälte

Was ihn von diesem Mainstream unterscheidet, ist die Bereitschaft zur unglaublichen Tat. Breivik begründet das mit einem einerseits fast kindlichen Ideal vom »Tempelritter« im Dienste der heiligen Sache, das aus dem Mystery- und Reliquien-Gruselgenre zu stammen scheint, das in den letzten Jahren so populär geworden ist. Breivik sieht sich offenbar als abgesandter Ritter eines Ordens der Zukunft in der Gegenwart, er »legitimiert« sich nach einem in der Zukunft herrschenden Recht. Andererseits ist die rationale Kälte erschreckend, mit der er zum Beispiel über seine Anschlagsziele räsoniert: Die Ausländer selbst seien als Ziel unter den herrschenden Bedingungen »kontraproduktiv«, die Konzentration auf die multikulturellen linken Jungpolitiker habe mehr Wirkungspotenzial, weil diese kommende Entscheidungsträger seien. Anders Breiviks Persönlichkeit muss bizarre Züge tragen; sich selbst zum Richter über Dutzende Leben zu machen, erfordert einen enormen Narzissmus. Doch all die Gruseldetails, die über das »Monster« Breivik an den Tag kommen werden, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr er ein Kind der Mitte ist und ein DJ gesellschaftlich akzeptabler Positionen – so verfolgt sich Henryk M. Broder und Kollegen aus Berufsgründen auch immer vorkommen mögen.

Anders Breivik mag der erste planmäßig und eiskalt vorgehende anti-islamische Terrorist sein, den das Jahrzehnt seit den New Yorker Anschlägen hervorgebracht hat; der erste Mörder aus den neorechten »Tabubrecher-Diskussionen« ist er nicht. Ein paralleler Fall ist der 22-jährige Jared Lee Loughner, der vor einigen Monaten im amerikanischen Tucson die demokratische Politikerin Gabrielle Giffords niederschoss und sechs Menschen tötete. Loughner hatte zwar kein »Manifest« hinterlassen und scheint sich auch weniger geschickt artikulieren zu können als Breivik; zudem wurde viel über seinen Geisteszustand spekuliert. So verrückt Loughner aber auch sein mag, so unübersehbar ist doch die ideelle Verbindung zum rechten Radikalismus der Tea-Party-Bewegung, die Giffords zuvor zum »Target« erklärt hatte – und auf die sich auch Breivik positiv bezieht.

In den Vereinigten Staaten ist es schon gefährlich geworden, das Offenkundige zu sagen: Der prominente linksliberale Fernsehkommentator Keith Olberman, der diesen Zusammenhang mehrfach deutlich hergestellt hatte, verlor kurz darauf seinen Job. In der Lügensphäre der Internetblogs wird vielfach verbreitet, in Wirklichkeit sei Loughner ein Linksradikaler; die Versionen stehen für viele Amerikaner wohl so gleichberechtigt nebeneinander wie Evolution und Schöpferglaube. Selbst einen mehrfachen Mord aus ihrem eigenen Dunstkreis können die Gods-own-Country-Ideologen bereits für ihre Attacken nutzen.

Nun muss sich zeigen, wie es um die Hegemonie in Deutschland und Europa bestellt ist. Henryk M. Broder geht breitbeinig in die Offensive: Nicht bei »mir oder Thilo Sarrazin«, sondern bei »Mohammed Atta und Osama bin Laden« sei Breivik in die Schule gegangen. Dann ist er im Prinzip schon wieder bei »Nine-Eleven«, geißelt zum hundertsten Mal die Verharmloser, und tritt zum fünfzigsten Mal nach gegen Günther Grass. Die ARD-Tagesschau sei eine Hochburg der Terrorversteher, schreibt Broder – und versteigt sich bis zur folgenden Niedertracht: Hätte sich Breivik »als Ziel nicht ein Ferienlager der Sozialistischen Jugend ausgesucht, sondern eine amerikanische Einrichtung oder eine israelische Sportlergruppe, wären die Differenzierer und Versteher wieder unterwegs: Schrecklich, diese Tat, aber …«.

Die Zeichen stehen auf Krawall

Auch bei »Politically Incorrect«, der mit angeblich mehreren zehntausend Klicks am Tag wichtigsten Anti-Islam-Seite in Deutschland, stehen die Zeichen schon wieder auf Krawall: Gutmenschen instrumentalisieren die Opfer für Hasskampagnen gegen aufrechte Kämpfer für die Wahrheit, Kritiker sind fiese, bezahlte Denunzianten. Irgendein Zeichen der Empathie sucht man hier vergeblich – und ansonsten geht es mal wieder um Ehrenmord und islamische Erziehung, Tabus also, die ganz dringend mal auf die Tagesordnung müssen. Kann man wirklich einfach so weitermachen?

Man kann. Laut Broder ist die kulturelle Devotion vor dem Halbmond gerade jetzt einen entscheidenden Schritt weitergekommen: Angeblich stehen wir kurz davor, die Bücher von John Stuart Mill zu verbieten.

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