Zwischen Illegalität und teuren Galerien

Kunstsammler zahlen tausende Euro / Wer als Street Artist ernst genommen werden will, muss seine Kunst auch auf die Straße tragen

  • Doreen Fiedler, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.

An Berlins Hauswänden toben sich nicht nur Schmierfinken aus, sondern dort verwirklichen sich auch anonyme Künstler. Die Stadt gilt als »Hauptstadt der Street Art«. Internationale Kunstsammler geben dafür gerne mehrere tausend Euro aus. Die Stadt steckt voller Kunst. Doch die Kreativität hängt nicht nur in Museen und Galerien, sie ist auch an Hauswänden und Bauzäunen, an Laternenmasten und Mauern zu sehen. Street-Art-Künstler wollen mit ihren Werken den öffentlichen Raum mitgestalten. Oft in der Nacht und illegal malen sie mit Tapetenroller und Pinsel meterhohe Bilder an Häuser, sprühen durch Schablonen ihre Comics oder kleben Plakate. Für die Hausbesitzer ist das meist ärgerlich – gleichzeitig erobert die Street Art zunehmend die Kunstszene.

Das internationale Aushängeschild ist der britische Street Artist Banksy, der mit seinem Film »Exit Through the Gift Shop« gerade weltweit die Kinosäle gefüllt hat. Banksys Werke sieht man vor allem an Hauswänden in London, das wie Paris schon lange eine Hochburg der Street Art ist. Doch nirgendwo gibt es derzeit so viele und so vielfältige Zeugnisse der jungen Kunstrichtung wie in Berlin. Spezielle Reiseführer zu dem Thema sind inzwischen vergriffen.

Alias, der wie andere Street Artists anonym bleibt und sich nicht offen vor Kameras zeigt, ist mit seinen schwarz-weiß-roten Bildern von traurigen oder verletzten Kindern besonders präsent. Er kam extra für seine Kunst aus dem Wendland nach Berlin. »Hier gibt es so viel Freiraum wie nirgendwo sonst. Und auch Toleranz«, sagt er. In seinem Atelier in Friedrichshain bemalt Alias große Plakate aus Spezialpapier, schneidet die Umrisse der Figuren aus und klebt sie an gut besuchte Plätze. Genauso wie das Verwenden von Stickern und Klebeband als Material wird dieses wilde Plakatieren meist nur als Ordnungswidrigkeit geahndet.

Manche Straßenkünstler arbeiten jedoch mit Pinseln und Spraydosen und begehen damit Sachbeschädigung. »Solange ohne Genehmigung auf Hauswände gemalt wird, wird Eigentum beschädigt«, sagt Alexander Wiech vom Eigentümerverband Haus und Grund. »Das muss kostenintensiv beseitigt werden, unabhängig davon, ob es künstlerisch wertvoll ist oder nicht.«

Street Artists berichten jedoch, dass die Polizei hauptsächlich hinter Graffiti-Sprayern her sei, die ihre Schriftzüge auch an S-Bahnen und Haustüren hinterlassen. Bei geklebter Kunst würde hingegen auch mal ein Auge zugedrückt. Einmal hätten die Ordnungshüter sogar »noch viel Spaß« gewünscht. Ein weiterer Unterschied zwischen Street Art und Graffiti sei die Intention, erklärt Kai Jacob, Autor des Buches »Street Art in Berlin«. »Die Street Artisten wollen ihre Meinung kundtun und mit den Menschen der Stadt kommunizieren. Graffitis hingegen dienen vor allem als Reviermarkierung.« Viele Künstler wollten irritieren und provozieren, sich politisch oder gesellschaftlich äußern. Emess, der vor allem antimilitaristische Motive sprüht, meint: »Wenn man schon draußen unterwegs ist, dann sollte man auch eine Message haben.«

Andere, wie El Bocho, zeigen eine amüsante Seite der Street Art. Zu seinen bunten Papierbildern gehören die sprechenden Überwachungskameras Kalle und Bernd, deren Comics immer wieder an Mauern auftauchen. »Osama ist tot...«, sagt Bernd in einem Motiv. »Knut auch«, antwortet ihm Kalle.

Anders als die meisten Graffitis wird Street Art mittlerweile von einem großen Teil der Gesellschaft als Kunst akzeptiert, sagt Jacob. Deswegen könnten hohe Preise erzielt werden. Die auf Berliner Street Art spezialisierte West Berlin Gallery verkauft 80 Prozent ihrer Werke ins Ausland, vor allem nach Skandinavien, Großbritannien, in die USA und nach Frankreich. »Jeder Kunsthändler weiß, dass es sehr schwer ist, Street Art in Deutschland zu verkaufen«, sagt Mitgründer Guillaume Trotin.

Sowohl einstige Graffiti-Rebellen als auch junge Designer wollen nicht mehr nur nachts um die Häuser ziehen, sondern mit ihrer Kunst etwas verdienen. Dazu machen sie ihre Bilder wohnzimmertauglich. Einige Künstler verwenden klassische Leinwände, andere suchen auf Brachflächen und Baustellen nach Untergründen mit Patina: eine Ofentür, eine angerostete Eisenplatte oder ein Brett der Teekiste.

Die Arbeiten von XOOOOX wurden auf einer internationalen Auktion bereits neben Werken von Damien Hirst und Andy Warhol versteigert. Seit einigen Jahren wird das positive Image der Street Art sogar für Guerilla-Marketing eingesetzt. Doch trotz Galerien und trendigen Werbe-Kampagnen: Ernst genommen werden in der Szene nur Künstler, die neben ihrer Arbeit im Atelier auch weiterhin an Hauswänden arbeiten. »Die Kunst muss raus – auf die Häuserwände«, sagt Emess und spricht damit das alte linke Motto aus: »Reclaim the Streets.«

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