Gegessen wird erst nach Sonnenuntergang
Der islamische Monat Ramadan hat gestern begonnen / Berliner Muslime üben sich in Verzicht
Während sich viele Berliner in diesen zumeist trüben Tagen nach der Sonne sehnen, freuen sich rund 200 000 Muslime um so mehr über den Sonnenuntergang. Denn für sie hat der Fastenmonat Ramadan gestern wieder begonnen. Vier Wochen lang üben sich praktizierende Muslime im körperlichen Verzicht. Essen, Trinken, Rauchen und Sex sind zwischen Morgengrauen (arabisch Fjer) und Sonnenuntergang (Maghreb) untersagt. An langen Sommertagen keine leichte Aufgabe.
»Die ersten zehn Tage sind die schwierigsten. Wenn sich der Körper jedoch an die Umstellung gewöhnt, ist es halb so wild«, weiß Ender Çetin vom Landesverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB).
Da sich der islamische Kalender nach dem Mond richtet, verschiebt sich der Ramadan jährlich um zehn Tage. So fällt der »heilige Monat« 2011 in die Sommerferien. »Viele türkisch- oder arabischstämmige Berliner befinden sich noch im Urlaub. Das heißt, dieses Jahr läuft Ramadan in der Hauptstadt ruhiger ab als gewohnt«, so Çetin. Auch das späte Fastenbrechen nach 21 Uhr bringe Veränderungen mit sich. Im Monat Ramadan ist es nämlich üblich, abends mit Verwandten, Freunden oder Nachbarn im geselligen Beisammensein zu speisen. Das verlagere sich nun vermehrt aufs Wochenende.
Viele der rund 80 Moscheen in der Hauptstadt bieten an Wochenenden ein gemeinsames Abendessen an. Einige wenige sogar täglich. Die Neuköllner Sehitlik Moschee am Columbiadamm, auf die in diesem Jahr bereits vier Mal ein Anschlag verübt worden ist, setzt verstärkt auf religiöse Vielfalt. Die Gemeinde lädt nämlich Muslime und Nichtmuslime zum gemeinsamen Essen ein.
Doch weniger gegessen wird in den vier Wochen keineswegs. Insbesondere Süßigkeiten und Gebäck werden in großen Mengen verputzt. Traditionell leitet man den hedonistischen Abend mit einer Dattel ein, die den Zuckerspiegel wieder in die Höhe treibt. Dann folgt eine leichte Suppe und erst später warmes Essen. Vom Fasten ausgenommen sind Kranke, Schwangere, Reisende und Kinder.
Warum tut man sich das an? Wird sich der ein oder andere fragen. »Um den Willen zu stärken und sich auf seine spirituelle Seite zu konzentrieren«, meint Ashraf Boudri. Der 36-jährige Informatiker entzieht sich während des Ramadans »so weit es geht« dem Alltag. »Ich muss zwar zur Arbeit, aber danach lass' ich es ruhig angehen.« Ab und zu nehme er gerne eine Einladung von Freunden zum Essen an. Für ihn bedeute Ramadan allerdings mehr als auf den Sonnenuntergang zu warten. »Ich lese viel, beschäftige mich mit mir und genieße den Monat.« Dennoch, sagt Boudri, sei er froh, wenn nach vier Wochen zu jeder Tageszeit das Loch im Bauch gestopft werden darf.
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