Galerie Thumm

Röntgenblick

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Kühn ragt das futuristische Gebäude in den Nachthimmel, unten Beton, oben ein geschwungenes Dach wie ein riesiges Maul. Doch nicht der seltsame Bau oder der davor angelegte künstliche See zieht die Blicke auf sich; es sind die zwei selbstvergessen gestikulierenden Menschen, winzig klein im Vergleich, die das Auge immer wieder ansteuert. Typisch Marius Bercea: Der rumänische Maler macht mit sensibel gemalten Ruinenszenen neugierig auf mehr.

In den USA und Großbritannien ist der 32-Jährige aus der Künstlerstadt Cluj in Siebenbürgen schon recht bekannt, in Berlin zeigt ihn jetzt erstmals die Galerie Barbara Thumm. Neben zwei von Berceas Werken im Stil des frühen Neo Rauch harren in der Sommerschau »Palets« zwei weitere Talente der Entdeckung durch die Berliner: die georgischen Künstler Anna K.E. und Guram Tsibakashvili aus Tiflis.

Die geheimnisvoll wirkenden Fotoarbeiten von Letzterem hinterlassen, neben den durch Familienfotos, Zeitungsausschnitte und Kindheitserinnerungen inspirierten Bildern von Marius Bercea, am meisten Eindruck. Seine in Auszügen präsentierte Serie »Definitions« basiert auf Negativen des unbekannten Dokumentarfotografen Kezel, die Tsibakhashvili auf Röntgenpapier drucken ließ. Dadurch entstehen Abbildungen in stumpfem Grauton, die oben und unten wie Wasserfarben verlaufen und die der Künstler mit roten Symbolen und Bleistiftschraffur anreicherte. »Etalon of Beauty« zum Beispiel, was soviel heißt wie »Musterstück der Schönheit«, zeigt das Foto einer strahlenden, am Strand posierenden Blondine unter einem knallroten Rechteck, darunter die global als perfekt geltenden Maße 90-60-90. Wunderbar ironisch erklärt Tsibakhashvili auch die menschliche Zeugung anhand zweier Hühnereier und eines (gemalten) roten Spermiums.

Mit der georgischen Nachwuchskünstlerin Anna K.E. stellt die Galerie Thumm ein dritte Neuentdeckung erstmals in Berlin vor. 1986 in eine berühmte Künstlerfamilie aus Tiflis hineingeboren, hat sie erst letztes Jahr ihre Meisterprüfung an der Kunstakademie Düsseldorf abgelegt, galt aber schon während ihres Studiums als Ausnahmetalent. Anna K.E. – das Kürzel steht für die Nachnamen der Eltern, Gia Edzgveradze und Keti Kapanadze – arbeitet mit Kompositionen aus Skulptur und Bild.

Die belgische Künstlerin Anne-Mie van Kerckhoven hingegen hat ihren Weg längst gemacht. Seit den 70er Jahren ist die gebürtige Antwerpenerin ebenso als Multimediakünstlerin bekannt wie als Musikerin des experimentellen Industrial-Projekts »Moral«. Die Sommerausstellung zeigt vier ihrer Titel gebenden »Palets«: Digitaldrucke, in denen grellfarbige Siebdrucke von Pin-ups im Pop-Art-Stil mit wissenschaftlichen und philosophischen Auszügen konterkariert werden. Kerckhoven weist mit dieser Gegenüberstellung auf die Gegenpole Ratio und Eros hin. In den »Palets« findet sich aber ebenso Kritik an der Sexualisierung des weiblichen Körpers und an den Zuschreibungen, die Frauen für sich treffen.

Der englische Maler Johnny Miller hingegen stößt in seiner Collage »Baum der Zwietracht« tief ins Reich des Unterbewussten vor, in eine bizarre Horrorwelt voll verzerrter, tragischer Figuren. Miller stammt aus Newcastle, lebt aber in Tokio, und in seinen ausdrucksstarken Zeichnungen finden sich Anklänge aus beiden Welten.

9.-26.8., Di.-Sa. 11-18 Uhr; Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68, Kreuzberg

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