- Brandenburg
- Brandenburg
Keine Bewerber für freie Lehrstellen
Weniger Schulabgänger, unbesetzte Ausbildungsplätze und gestiegene Jugendarbeitslosigkeit
Was die Lehrlingsausbildung betrifft kommen brandenburgische Firmen üblicherweise verspätet aus den Startlöchern. Deshalb ist auch 2011 die Lage wenige Wochen vor Beginn des Ausbildungsjahres ziemlich verworren.
Rund 17 000 Schulabgänger gab es in diesem Sommer und etwa 9000 werden eine Berufsausbildung beginnen. Doch noch immer sind laut Arbeitsministerium zirka 5000 unversorgt. Ihnen steht jedoch eine nahezu gleich große Zahl an freien Lehrstellen gegenüber.
»Was äußerlich nicht weiter schwierig scheint, das erweist sich als gar nicht so einfach«, sagte Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) gestern. Zu jedem Topf müsse ein Deckel gesucht werden. Vor allem die eher konservativen Berufswünsche vieler Jugendlicher machen den Verantwortlichen in der Politik, bei der Arbeitsagentur und bei der IHK sowie den Handwerkskammern zu schaffen. Obwohl in Brandenburg 250 Ausbildungsberufe angeboten werden, bewerben sich weit über die Hälfte der Schulabgänger für gerade einmal zehn Berufe. Das gelte für Mädchen wie für Jungen.
Ausbilder beklagen zunehmend die mangelnden Fähigkeiten der Bewerber in Mathematik, Deutsch, Informatik und Technik. Auch deren Benehmen lasse zu wünschen übrig. Margit Haupt-Koopmann, Regionaldirektionschefin der Arbeitsagentur, forderte die Unternehmen auf, »ihr Anforderungsprofil zurückzufahren«. Auch wer schlechte Noten habe, ja selbst, wer nicht einmal über einen Abschluss verfüge, sei nicht völlig für eine Berufsausbildung verloren. Haupt-Koopmann bot öffentliche Unterstützung für Qualifizierungen an. Selbst ein längeres Betriebspraktikum, bei dem der Meister den Jugendlichen beobachten könne, werde mit monatlich 216 Euro plus einer Pauschale vergütet. »Es gibt keinen Grund zu sagen, ich stelle ihn nicht ein.« Das sah Victor Stimmig von der Industrie- und Handelskammer allerdings anders. »Das Anforderungsprofil können wir nicht senken«, unterstrich er. Eine nachholende Qualifizierung wäre jedoch tatsächlich eine Hilfe, bestätigte Stimming. Es wäre am besten, wenn die Schüler ihre Schulzeit nutzen würden und bei Lehrbeginn den in der Schule vermittelten Stoff beherrschen.
Die Haupttendenz auf dem Ausbildungsmarkt ist die auf weniger als die Hälfte gesunkene Zahl der Schulabgänger. Wo früher Dutzende oder Hunderte Bewerbungen um eine Lehrstelle eingingen, da bleibt heute das Telefon stumm, der Briefkasten leer. Die Betriebe bieten ihre Lehrstellen an wie sauer Bier. Während die Zahl der Bewerber auf einen historischen Tiefststand zusteuere, »weil die Kinder schlicht und einfach nicht geboren wurden«, wie Arbeitsminister Baaske anmerkte, ist die Zahl der angebotenen Lehrstellen gegenüber dem Vorjahr noch einmal um 16 Prozent gestiegen. Noch nie war man seinem Traumberuf so nahe, sagte Baaske. Das Land spart viel Geld, denn die bislang notwendige und sehr teure überbetriebliche Berufsausbildung kann auslaufen. Einst musste fast die Hälfte der Schulabgänger durch eine überbetriebliche Ausbildung zu einem Beruf geführt werden. Es fehlte damals an normalen Ausbildungsplätzen in Betrieben. Hatte das Bundesland für die überbetriebliche Ausbildung 2002 noch 68 Millionen Euro aufwenden müssen, so werden es im Jahr 2012 nur noch 23 Millionen sein. Neue Klassen werden jetzt gar nicht mehr eingerichtet. Die überbetriebliche Ausbildung läuft aus.
Trotz Konjunktur stieg im Juli aber die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen um 1800. Der Grund dafür: Lehrlinge sind nach ihrer Ausbildung nicht übernommen worden. Das Glück, weiter beschäftigt zu werden, hat in Brandenburg nur jeder zweite Jugendliche, im Westen Deutschlands beträgt die Übernahmequote 62 Prozent.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.