Vergebung statt Rache
Im Stadtbad Steglitz tobt »Der Sturm« von Shakespeare
Ein Wunderwerk, dieser »Sturm«. Kann in anderen Stücken Shakespeares Recht erst nach Gewalt und Tod triumphieren, so verzichtet der Brite in diesem letzten großen Drama gänzlich auf Mord: Prospero, dem bittere Unbill geschah, will nur mehr Versöhnung, Tugend, sagt er, stehe höher als Rache. Altersweise Einsicht eines Dichters fünf Jahre vorm eigenen Sterben. Genau 400 Jahre fegt »Der Sturm« nun über Europas Bühnen, hat jetzt auch das Stadtbad Steglitz erfasst.
Stefan Neugebauer, mit seinem clubtheater berlin inszenierender Dauergast im noch trockenen Bassin, adaptierte die fünf Akte mit nur sieben Schauspielern für das ungewöhnliche Haus. Was im Theater Szenenwandel ermöglich, erzielt hier Ortswechsel, der das Publikum die drei Schauplätze aktiv erwandern lässt. Es beginnt auf den Fliesen der Schwimmhalle, die zum Schiff wird. Dort arrangiert Ariel auf Prosperos Geheiß das Stranden just an jenem Eiland, das dem einstigen Herzog von Mailand und seiner Tochter Miranda seit einem Dutzend Jahren Heimat wurde. An Bord sind Bruder Antonio, der dem Büchernarr Prospero die Macht entriss, Antonios Sohn Ferdinand und der noble Höfling Gonzalo. Säuberlich verstreut der Luftgeist die in weiße Overalls gekleideten Schiffbrüchigen auf der Insel.
Die Russisch-Römische Sauna, durch die labyrinthische Unterwelt des Schwimmbads erreichbar, wird zu Prosperos Zelle. Er teilt sie mit der Tochter und, im Verließ hausend, Caliban, Sohn einer besiegten Hexe und nunmehriger Sklave. Besonnen und leise, jedes Wort treffsicher setzend, klärt der Vater dort in langem Monolog Miranda über ihre Herkunft auf.
Friedhelm Ptoks Prospero bleibt stücklang die dominierende, souverän die Fäden ziehende Gestalt, an der sich alle anderen Akteure zu reiben haben. So auch Ariel, den Andrea Pani Laura als zarte, um ihre Freiheit ringende Nymphe in Tüll gibt. Zuvor jedoch bleibt sie Ausführende von Prosperos klugen Plänen. Der muss sich zunächst Calibans Ansprüchen als Herr der Insel erwehren: Roberto de Buenos Aires gestaltet ihn überzeugend als feuriges Untier mit Bart und Zottelhaar. Als Ariel Ferdinand herbeiführt, entbrennt Miranda in Liebe, die der junge Herzog erwidert. Prosperos Proben besteht er bravourös, kann Teil des Versöhnungsplans werden. Als edlen Spross eines machtlüsternen Aristokraten legt ihn Thomas Hut an, besticht durch saubere Artikulation. Dass damit, etwas unglücklich, Bruderkinder zusammenkommen, ist Neugebauers Personenreduktion geschuldet: Im Original darf Ferdinand als neapolitanischer Königssohn um Miranda freien.
Gegen Prosperos Welt der geistigen Überlegenheit wüten, ganz Shakespeare, in deftigen Szenen Volksgestalten an. Stephano und Trinculo heißen sie hier, Kellermeister der eine, Narr der andere, trunksüchtig beide. Nach ersten Ängsten raufen sich die Schiffbrüchigen mit Caliban zusammen, der demütiger Diener wird und sie zum Mord an Prospero anstiftet. Das spielt im Innenhof, zwischen Birke und Kastanie, bietet Uwe Neumann und Robert Frank singend, tanzend, streitend, Sekt süffelnd Paraderollen an Lauthalsigkeit. Beinah sieht sich Stephano als König der Insel, Prospero tut mit Ariels Hilfe alles, ihn darin zu bestärken. Für Miranda und Ferdinand erfüllt sich derweil ihr Liebestraum, der jedoch nicht in Wollust gipfeln darf, wohl wegen ihrer Verwandtschaft.
Mit dem geretteten Sektfass brechen die Verschwörer in das Idyll ein, geschreckt von Blitzen scheitert ihr Mordplan. Auch für Prospero ändert sich die Welt: Er schwört dem Zaubern ab, vernichtet als Insignien Stab und Mantel.
Zweieinhalb Stunden wogt die Inszenierung, eine von Neugebauers besten, zwischen den widerstreitenden Gefühlen, hat Poesie, Atmosphäre und beutet aufs gelungenste die Örtlichkeiten des Schwimmbads aus. Wasser ist für beide, Stück und Bad, verbindendes Element.
Bis 20.8., 20.30 Uhr, Stadtbad Steglitz, Tel.: 54 77 31 18
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.