Unerwünschte Beteiligung

Hausbesitzer zahlen für den Straßenausbau – die LINKE macht daraus ein Wahlkampfthema

  • Jenny Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Burkard Reimer (r.) mit einem Nachbarn vor seinem Haus, wo die Gullys erneuert werden sollen. ND-
Burkard Reimer (r.) mit einem Nachbarn vor seinem Haus, wo die Gullys erneuert werden sollen. ND-

Eines Morgens erreichte den Rentner Burkard Reimer ein Brief, der ihn entsetzte. Es war ein Schreiben vom Bezirksamt Treptow-Köpenick, das Baumaßnahmen in Höhe von 1,5 Millionen Euro in seiner Straße ankündigte. Die Hauseigentümer sollten ein Viertel der Kosten tragen. Der 71-Jährige sah sich von einem Tag auf den anderen damit konfrontiert, möglicherweise 6000 Euro auftreiben zu müssen, um den für ihn errechneten Beitrag zu begleichen. Denn seit 2006 gibt es in Berlin das Straßenausbaubeitragsgesetz (StrABG), das Hausbesitzer verpflichtet, im schlimmsten Fall für bis zu 75 Prozent der Kosten für den Straßenausbau aufzukommen.

Das Wortungetüm versetzt derzeit viele Grundstückseigentümer in Aufruhr und dient auch als willkommenes Wahlkampfthema. Die Linkspartei, die das Gesetz zusammen mit der SPD eingeführt hat, spricht sich nun für seine Abschaffung aus – zumindest ab der kommenden Legislaturperiode. Die SPD hält das für reine Wahlkampftaktik.

Bisher sind in Berlin über 200 beitragspflichtige Maßnahmen angelaufen. In den vergangenen Jahren haben Anwohner bereits zwischen 39 Euro und 14 000 Euro bezahlt. Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) geht aber künftig von höheren Summen aus. Basierend auf Vorabinformationen der Anlieger, wie sie auch Burkard Reimer ins Haus flatterten, hat der VDGN einen Durchschnittsbeitrag von 10 000 Euro errechnet, im Einzelfall liege der Betrag gar bei 143 000 Euro.

Vielen dürfte es wie Burkard Reimer gehen. Er wüsste nicht, woher er die zusätzlichen 6000 Euro nehmen sollte. »Unser Notgroschen fürs Alter wird dadurch stark angegriffen«, sagt er. »Wir überlegen schon, ob wir das Geld nehmen sollen, das wir für unsere Beerdigungen zurückgelegt haben.«

Für den Einzelnen stehen mitunter horrende Zahlungen an, doch die Einnahmen, die durch das Gesetz erzielt werden, unterschreiten bisher die Erwartungen. Das beklagt zumindest die CDU und wiegt die hohen Personal- und Sachkosten gegen die erzielten Einnahmen auf. Aus den Antworten auf ihre Kleinen Anfragen an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geht hervor, dass bis 2009 rund 3,5 Millionen Euro für das StrABG ausgegeben, aber nur 107 000 Euro eingenommen wurden. 2010 waren es noch mal rund 62 000 Euro.

Das Missverhältnis erklärt sich allerdings damit, dass die meisten Einnahmen noch ausstehen. Gezahlt werden muss nämlich erst, wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind. Ellen Haußdörfer, stellvertretende Bauausschussvorsitzende der SPD, rechnet ab dem kommenden Jahr mit verlässlichen Zahlen. Es seien aber »keine hohen Gewinne absehbar«. Im Laufe des nächsten Jahres könne man dann mit einer Evaluation beginnen. »Wie jedes Gesetz müssen wir es auswerten und verbessern«, so Haußdörfer. Ebenso wie die Grünen hält die SPD an dem StrABG fest, das es außer in Baden-Württemberg in allen Bundesländern gibt.

Für die Linkspartei steht schon jetzt fest: »Unterm Strich taugt das Gesetzt nichts«, so Verkehrsexperte Uwe Doering. Doch er fügt hinzu, dass die LINKE ein neues Gesetz als Nachfolger des StrABG nicht ausschließen könne. Die aktuelle Kritik ist indes klar. Die Bürger würden an den Planungen nicht so beteiligt, wie man sich das vorgestellt hatte, erklärt Doering. Zudem würden viele für Maßnahmen der Wasserbetriebe zur Kasse gebeten, die eigentlich »zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören« und nicht umlagefähig seien. Als Beispiel nennt er die Straße von Burkard Reimer, in der die Wasserbetriebe den Regenwasserkanal erneuern wollen.

Burkard Reimer sieht das ähnlich und will darum notfalls vor Gericht ziehen. Der gelernte Ingenieur hat zuletzt viel Zeit bei den Gullys seiner Straße verbracht und festgestellt, dass die Entwässerung funktioniert. Gemeinsam mit seinen Nachbarn kam er zu dem Schluss: »Billigere Varianten sind möglich.« Doch Wahlmöglichkeiten, wie sie im Gesetz vorgesehen sind, wurden ihnen nicht unterbreitet. Mit einer Anwohnerinitiative haben sie dennoch eine Überarbeitung der Pläne bewirkt.

Dass die Information und das Mitspracherecht der Betroffenen verbessert werden müssen, hat auch die SPD eingeräumt. Nach der Modifizierung des StrABG sollen für die Bezirke einheitlichere Regelungen festgelegt werden. Auch soll es nachvollziehbarer und weniger bürokratisch zugehen. Teuer wird es für viele trotzdem bleiben.

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