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Aus Gras wird in 90 Minuten Kohle
In Brandenburg sind 620 Firmen der Umweltwirtschaft tätig / Die Branche wächst schnell
»Hätten wir mal lieber ein Atomkraftwerk gebaut, das wäre schneller genehmigt worden«, witzelte Volker Zwing im Kreis seiner Kollegen. Der Diplom-Ingenieur ist Geschäftsführer der 2007 gegründeten Carbon Solutions GmbH. Die Firma tüftelt an einem Verfahren, aus Biomasse möglichst effizient Kohle zu gewinnen. Im Oktober vergangenen Jahres ging die Versuchsanlage endlich in Betrieb. Die moderne Technik steht in einer alten, fast schon marode anmutenden Halle in Teltow. Sie könnte jährlich 10 000 bis 12 000 Tonnen Biomasse verarbeiten. Doch in der Testphase läuft sie keineswegs rund um die Uhr. Es geht ja darum, verschiedene Stoffe und Methoden zu erproben. Mal wird frisch gemähtes Gras in den Trichter eingefüllt und mal Laub oder auch Klärschlamm.
Im Land Brandenburg sind 620 Firmen der Umweltwirtschaft zuzurechnen. Dies erkundete Benjamin Grädler bei einer Untersuchung für das Potsdamer Umweltministerium. Die Branche zähle 22 000 Mitarbeiter, sagt Umweltministerin Anita Tack (LINKE). Das seien zwar nur zwei Prozent der Beschäftigten im Bundesland. Es handele sich allerdings um hoch qualifizierte Leute, die zusammen 4,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr erwirtschaften, was einem Anteil von über acht Prozent am Bruttoinlandsprodukt entspreche. Der beschlossene Atomausstieg mache Entwicklungen notwendig, die Energie einsparen, meint Tack. Das eröffne der Umweltwirtschaft zusätzliche Chancen.
Am Ende kommt bei Carbon Solutions in Teltow eine braune Flüssigkeit heraus, die Arne Stark an Schokoladensoße erinnert. Die Flüssigkeit ließe sich leicht trocknen, erläutert der Mann, der die Anlage konstruierte. Wasser und Hitze sind das Geheimnis. Details will Stark nicht preisgeben. Die Konkurrenz schläft nicht. Die eingesetzte Energie liege bei ungefähr 15 Prozent des Brennwerts der produzierten Kohle.
Carbon Solutions sei im Gespräch mit großen Unternehmen in Deutschland und Skandinavien, verrät Geschäftsführer Zwing. Diesen möglichen Kunden gehe es darum, Klärschlamm billig zu entsorgen. Die Variante, Abfall in Kohle zu verwandeln, spiele eine wichtige Rolle bei der Frage, ob das neue Verfahren wirtschaftlich ist. »Wofür die Natur Millionen Jahre benötigt, das schaffen wir in 90 Minuten«, sagt Zwing. Bei den früher bekannten Verfahren dauere es sechs bis zwölf Stunden.
Carbon Solutions steht mit erst acht Mitarbeitern noch ziemlich am Anfang. Die bereits 1992 gegründete Firma Progeo mit immerhin 20 Beschäftigten ist da schon ein Stück weiter, allerdings längst noch nicht da, wo sie ursprünglich hin wollte. Es wäre viel mehr drin, wenn sich die elektronische Überwachung von Bauwerksabdichtungen durchsetzen würde, glaubt Geschäftsführer Andreas Rödel.
So eine Abdichtung halte gewöhnlich 19,5 Jahre. Allerdings werde diese Lebensdauer in der Hälfte der Fälle nicht erreicht. Zu spät entdeckte Wasserschäden müssen teuer behoben werden, erinnert Rödel. Besonders tragisch sei es bei Sondermülldeponien, wo Lecks erst auffallen, wenn Schadstoffe im Grundwasser gemessen werden. »Dann ist es eigentlich schon zu spät.« Die verkabelten Abdichtungen von Progeo können Löcher schnell und auf einen halben Meter genau finden, verspricht Rödel. Die Kosten liegen bei zwei bis fünf Euro pro Quadratmeter. Wegen der dann gewährleisteten Sicherheit dürfe bei Deponien aber eine Dichtungskomponente weggelassen werden, was die Baukosten von Deponien in Belgien unter dem Strich sogar verringert habe.
Progeo ließ sich in der Hoffnung auf einen schnellen Durchbruch in Großbeeren einen großzügig projektierten Firmensitz errichten. Es wäre noch viel Platz, der erst einmal vermietet ist. Rödel sieht immerhin Bewegung. Die Progeo-Technik wurde mittlerweile etwa auf Flughäfen, in Schulen und in die Berliner Staatsbibliothek eingebaut. Aktuell erfolgt die Montage in einem Wassertunnel in Kanada. Der Umsatz sei 2010 auf drei Millionen Euro gestiegen, freut sich Rödel.
Die Umweltwirtschaft wächst schnell, weiß Frank Weichelt vom Umweltministerium. In Deutschland werde ihre Bedeutung eventuell bereits 2020 die von Automobilindustrie und Maschinenbau übertreffen.
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