Körting geht in Fechtgrundstellung

Englische Krawalle lösen Debatte auch in Deutschland aus / Berliner Innensenator sorgt für schrillen Ton

  • Lesedauer: 2 Min.
Es ist bezeichnend, dass in den unvermeidlichen Reaktionen in Deutschland auf die zerstörerischen Ereignisse in England vornehmlich Innenminister zu Wort kommen. Hierin könnte ein Problem sichtbar werden.

Berlin (ND-Kalbe). Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting schraubte sogleich am Adrenalinventil. Wenn es in Berlin zu ähnlichen Krawallen kommen sollte wie in London – was natürlich nicht zu hoffen sei –, dann seien die Behörden »gut gerüstet«. In kürzester Zeit, so warf sich der SPD-Politiker in die Brust, sei hier eine hohe Polizeidichte erreichbar. Für »Vorfälle dieser Art« sieht Körting Deutschland durch das »System der sich gegenseitig unterstützenden Bereitschaftspolizeien« gewappnet. Der drohende Unterton ist schwerlich zu überhören.

Mag sein, dass der Berliner Innensenator die regelmäßigen Auseinandersetzungen vor Augen hat, die Berlin seit Jahren am 1. Mai zum Top-Thema aller Nachrichtensendungen machen. Doch sind diese nicht mit den Ereignissen in London, Manchester oder Birmingham zu vergleichen. Zurückhaltender äußert sich da schon Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sieht derzeit keine Anzeichen dafür, dass es in deutschen Großstädten zu ähnlichen Jugendkrawallen kommen könnte. Die Einschätzung teilen auch zu solchen Themen gern befragte Experten wie der Kriminologe Christian Pfeiffer. Dieser sieht keine Parallelen zwischen England und Deutschland, England sei schon immer ein Land der sozialen Gegensätze gewesen und habe eine »ausgeprägte Gewinner-Verlier-Kultur«. Und der Jugendforscher Albert Scherr meint, in Deutschland sei ein englisches Szenario nicht zu befürchten. Im Unterschied zu England und Frankreich gebe es in Deutschland starke sozialstaatliche Strukturen. Deshalb entstünden »keine Situationen der Gettoisierung und keine Situationen, in denen eine große Zahl von jungen Menschen das Gefühl von Randständigkeit und Perspektivlosigkeit hat. Der Professor an der Pädagogischen Hochschule Freiburg weist aber zugleich auf Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit als Ursachen der Ereignisse in England hin. Damit ist der »deutschen Debatte« zumindest eine nützliche Dimension verliehen.

Anders als Minister Friedrich, der die soziale Integration in Deutschland »sehr gut vorangekommen« sieht, und anders auch als Albert Scherr zeigt sich die Nationale Armutskonferenz (NAK) alarmiert. Arbeitslosigkeit, Armut und marode Infrastruktur seien ein »verheerender Kreislauf«, den es »zumindest ansatzweise auf der ganzen Welt« gebe, so NAK-Sprecher Thomas Beyer in Berlin. Auch in Deutschland suchten immer mehr junge Bedürftige Anlaufstellen wie die Bahnhofsmissionen auf. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter spricht sich für Änderungen in der Bildungs-, Sozial-, Familien- und Integrationspolitik aus – europaweit. Eine EU-Zentralstelle zur Bekämpfung von Jugendkriminalität soll es richten. »Mit repressiven Mitteln alleine werden wir die Problematik Jugendgewalt nicht in den Griff bekommen.« Ein Merksatz für Innenminister. Kommentar Seite 4

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.