»Weder privater Konzern, noch kommunaler Filz«
Ein Gastkommentar des Attac-Mitglieds Alexis Passadakis zur Debatte um die Rekommunalisierung der Energienetze in Berlin
Noch ist der bundesweite Trend zur Rekommunalisierung von privatisierten, vormals öffentlichen Unternehmen noch kein breiter Strom, sondern nur ein Rinnsal. Allerdings ein anschwellendes – und inzwischen ist es auch in Berlin angekommen. Im Wahlkampf sprechen sich die SPD und die LINKE für den Rückkauf der Energienetze und die Gründung eines Stadtwerks aus. Letztlich hängt dieser Schritt hin zu mehr öffentlichem Eigentum im Energiesektor und zu neuen Formen der demokratischen Kontrolle aber weniger von dem Ausgang der Wahlen, sondern vor allem vom gesellschaftlichen Druck ab.
Zur Erinnerung: Nach dem Verkauf der restlichen landeseigenen Bewag-Anteile im Jahr 1997 an Investoren, waren diese vier Jahre später in den Händen von Vattenfall gelandet. Seitdem liegen bei dem schwedischen Unternehmen auch die Konzessionen zum Betrieb des Strom- und des Fernwärmenetzes. An der GASAG und damit am Gasnetz sind die drei transnationalen Konzerne E.on, Vattenfall und Gaz de France beteiligt. Mit den Netzen lassen sich solide Profite erwirtschaften. Das Fernwärmenetz ist sogar völlig unreguliert, so dass man man von hervorragenden Renditen für die Aktionäre ausgehen kann.
Der Hebel zu Veränderungen bei den Energienetzen ist das Auslaufen von Hunderten von Konzessionsverträgen im gesamten Bundesgebiet. Diese »Betriebsgenehmigung« gelten in der Regel über einen Zeitraum von 20 Jahren und werden dann neu ausgeschrieben. Die Gasnetz-Konzession für Berlin endet am 31. Dezember 2013; die für Strom und Fernwärme ein Jahr später. Dutzende Kommunen haben bereits rekommunalisiert und damit die Privaten außen vor gelassen. Aktuell läuft ein Volksbegehren zur Rückführung der Netze in die öffentliche Hand in Stuttgart. Im Juni hat die Initiative »Unser Hamburg – unser Netz« mit 116 000 Unterschriften mit Bravour die zweite Hürde zum abschließenden Volksentscheid im kommenden Jahr genommen. Die wilde Entschlossenheit vieler Bürgerinitiativen, die Eigentumsfrage bei der Energieversorgung auf die Agenda zu setzen, kommt nicht von ungefähr: Die Auseinandersetzungen um die Atompolitik und Klimakrise haben den Energiesektor (re-)politisiert. Spätestens mit dem spektakulären Scheitern der UN-Klimaverhandlungen in Kopenhagen ist vielen klar geworden, dass die lokale Ebene wesentlich für das Gelingen der Energiewende ist.
Und die Konflikte um Atomkraft haben vielen vor Augen geführt, dass diese Wende nicht mit, sondern nur gegen die Konzerne zu haben ist. Diese Entwicklungen haben einen Veränderungsdruck ausgelöst, der der Logik bisheriger privater Verwertungsinteressen im Energiesektor entgegensteht. Die Tendenz ist nämlich eine kleinteiligere, dezentrale Struktur der Produktion. Hinzu kommt eine gewisse Erschöpfung des neoliberalen Dogmas, was die Privatisierung öffentlicher Unternehmen angeht. Verantwortlich dafür sind die zahlreichen Proteste der letzten Jahre gegen Cross-Border-Leasing, Privatisierung von Wohnungen und Wasserbetrieben.
Dessen ungeachtet, positionieren sich in Berlin CDU und FDP, sekundiert von der IHK, strickt gegen einen neuen kommunalen Akteur. Die SPD hat die Zeichen der Zeit erkannt – zumindest programmatisch. Tatsächliches Engagement lässt sie jedoch vermissen. Mit Wowereits Finanzsenator Ulrich Nussbaum (parteilos) ist der Aufbau neuen kommunalen Vermögens kaum zu haben. Die Grünen sprechen sich zwar für ein »Klimastadtwerk« aus, welches allerdings vor allem auf energetische Sanierung und Produktionsanlagen in oder auf öffentlichen Gebäuden beschränkt ist. Rekommunalisierung der Energienetze? Fehlanzeige. Denn eine liberale Skepsis gegenüber großen öffentlichen Investitionen scheint den Blick für die Gestaltungschancen durch öffentliche Netze zu verstellen. Konkrete Schritte hat die Wirtschaftsverwaltung unter Harald Wolf (LINKE) mit der »Entwicklungsplattform EnergieBerlin« unternommen. Das selbst gesteckte Ziel, nämlich die Bündelung der Energieerzeugung, die bereits bei den Unternehmen BSR, Bäderbetriebe und BWB angesiedelt ist, konnte zwar nicht eingelöst werden. Allerdings ist damit ein Prozess angestoßen, der durch gesellschaftliche Bewegung durchaus die Perspektive eines sozial-ökologischen Energiestadtwerks hat.
Gleichzeitig hat in Berlin eine Diskussion über demokratische Mitbestimmung durch die Bürger bei einem künftigen Stadtwerk begonnen. »Weder privater Konzern noch kommunaler Filz« ist dabei das Motto. Der im Juli gegründete Berliner Energie-Tisch fordert eine Demokratisierung des Energiesektors: Wie wäre es, wenn ein Teil des Aufsichtsrates eines neuen Energiestadtwerks direkt von den Bürgern gewählt würde?
Alexis Passadakis ist Politikwissenschaftler, Mitglied im bundesweiten Koordinierungskreis von Attac und aktiv beim Berliner Energie-Tisch. Infos unter berliner-energietisch.net
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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