Postkoloniale Choreografie

Das Festival »Tanz im August« legt dieses Jahr den Fokus auf den afrikanischen Kontinent

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Das traditionsreiche Festival »Tanz im August«, das vom 12. bis 28. August in verschiedenen Berliner Spielorten stattfindet, wartet mit einigen Neuerungen auf. Erstmals wird Afrika als vitale Produktionsstätte des zeitgenössischen Tanzes in den Fokus gestellt. Mit der ebenfalls erstmals veranstalteten Tanzfilmnacht wird auf ein sich immer stärker emanzipierendes Nachbargenre aufmerksam gemacht. Und in dem Formatfenster »In Progress« erhalten vor allem in Berlin produzierende Künstler beim heimischen Festival eine angemessene Bühne.
Die Kompanie N'Soleh von der Elfenbeinküste zeigt als europäische Erstaufführung »La Rue Princesse«.
Die Kompanie N'Soleh von der Elfenbeinküste zeigt als europäische Erstaufführung »La Rue Princesse«.

Kuratoren lernen. Manchmal sogar schnell. Wurden die Programmmacher des Festivals »Tanz im August« im letzten Jahr noch wegen der mangelnden Präsenz aufstrebender afrikanischer Choreografen gescholten, so wird diese Wahrnehmungslücke in diesem Jahr mit einem Festival im Festival geschlossen. Gleich fünf afrikanische Choreografen – aus der Elfenbeinküste, Südafrika, Senegal und Nigeria sowie dem nordafrikanischen Tunesien – sind ab 12. August in Berlin am Start.

Am vielversprechendsten unter ihnen sticht die am zweiten Festivaltag ins Geschehen eingreifende Truppe »N'Soleh« aus Abidjan hervor. Sie versucht in ihrer Produktion »La Rue Princesse« (13.-15.8., Podewil) das lebhafte Treiben auf Abidjans Boulevard tänzerisch zu fixieren. Der Choreograf und Leiter der Truppe, Massidi Adiatou, beschrieb bei der Festival-Pressekonferenz, dass es sich dabei weder um eine der hierzulande seit einigen Jahren schon inflationär betriebenen Realitätskopien noch um ein geglättetes Exportprodukt handelt, sondern um einen Versuch, sich aus dem postkolonialen Kunstdiskurs zu befreien. »Wir reden gar nicht mehr gern vom zeitgenössischen Tanz bei uns. Das waren Formen und Methoden, die vor allem aus Frankreich zu uns kamen«, beschreibt Adiatou den ursprünglich epigonalen Ansatz.

Diese aus Europa exportierte Form zog nur eine kleine Elite in die Theaterhäuser. »In ein Haus mit 500 Plätzen kamen allenfalls 100 Zuschauer, wenn dort zeitgenössischer Tanz angeboten wurde«, blickt Adiatou zurück. »Jetzt kommen ins gleiche Theater 700 Zuschauer«, sagt er und lacht. Hintergrund ist eine Schwerpunktverschiebung. »Wir nennen das, was wir tun, jetzt urbanen zeitgenössischen Tanz. Wir betreiben ihn für unser Publikum und wir entwickeln ihn mitten aus dem Alltagsleben heraus«, meint der Choreograf. Das bedeutet, dass seine Tänzer nicht nur Bewegungselemente von Barbesuchern und Showstars, Dealern und Fußballheroen, kleinen Dieben und sie verfolgenden Polizisten aufnehmen, sondern ihre Tänze in Guerilla-Aktionen auch auf der Straße aufführen. »Es geht ganz schnell, und dann sind Hunderte Zuschauer um uns versammelt. Wenn wir uns zerstreuen und an andere Orte gehen, dann folgen sie uns«, beschreibt er das urbane Phänomen.

Wie viel er von dieser Vitalität ins Theater retten und mit Mitteln des zeitgenössischen Tanzes verschmelzen kann, wird sich zeigen. Er hat auf alle Fälle die Erfahrung gemacht, dass seine Arbeit bei deutschem Publikum hervorragend ankommt. »Im letzten Jahr war eine Gruppe von Journalisten, Regisseuren und Choreografen in Abidjan. Sie haben so begeistert, so verrückt reagiert, dass ich mich endlich reif fühlte, meine Arbeit auch in Deutschland zu präsentieren«, fügt er hinzu.

Ebenso nach eigenen Wegen zwischen Tradition, Alltag und der Bewegungssprache des abendländisch geprägten zeitgenössischen Tanzes suchen der Südafrikaner Gregory Maqoma (23./24.8., Schaubühne), der in den Senegal geflohene kongolesische Choreograf Andreya Ouamba (25., 26.8., HAU1) und der im »Work in Progress« auftretende Nigerianer Sunday Israel Akpan (18.8., Podewil). Die in Europa seit längerem betriebene Öffnung des zeitgenössischen Tanzes für Hip-Hop-Elemente findet in diesem Jahr seinen Widerhall in »Yonder Woman« von Anne Nguyen (18./19.8., Halle) und »In Vivo« von Mickael Le Mer (24./25.8., Podewil). Neue Arbeiten der etablierten Choreografinnen und häufigen »Tanz im August«-Gäste Meg Stuart (24.-26.8., Radialsystem) und Susanne Linke (19.-21.8., Radialsystem) sind ebenfalls zu sehen.

Die Starensembles von Lucinda Childs und Edouard Lock (La La La Human Steps) schließlich eröffnen und beschließen das Festival und geben ihm so eine hochkarätige Klammer. In den September ausgelagert ist ein mehrteiliges Gastspiel der Merce Cunningham Dance Company, die mit dem Vermächtnis ihres vor zwei Jahren verstorbenen Gründers seit 2009 auf Welttournee ist. Die Tanzfilmnacht findet am 26.8. im Filmtheater am Friedrichshain statt und ist mit einer Preisverleihung für den Choreografen des Jahres der Zeitschrift »tanz« verbunden.

12.-28.8., diverse Orte und Zeiten, Infos unter www.tanzimaugust.de

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