Der Arzt sagt, mein Herz schlägt, solange ich lebe

Bruder Thaddaeus »Franziskushof« bei Zehdenick hat sich in wenigen Jahren zum blühenden Unternehmen entwickelt

  • Christina Matte
  • Lesedauer: ca. 9.5 Min.
Eine der Fragen im hauseigenen Weltbild- und Persönlichkeitscheck dieses Blattes lautet bekanntlich: Wie beschreiben Sie Lebenskünstler? Seit acht Jahren, seit ich ihn traf, würde ich schreiben: Wie Bruder Thaddaeus. Sein lustvolles »Der Himmel fängt jetzt an!« schien mir als Verheißung einfach göttlich. Sie war Fleisch geworden in seiner Gestalt, Geist geworden in der Hoffnung von Arbeits- und von Obdachlosen, auf dem Hof bei Zehdenick noch einmal Fuß zu fassen im Leben. Sein Franziskushof: ein Projekt, auf vielfältigen Gewinn ausgelegt - geistigen wie materiellen, keiner von beiden gering geschätzt. Kurz, über die Jahre war Bruder Thaddaeus mir in Erinnerung geblieben. Manchmal, wenn ich eine Zeitung aufschlug, sah ich: Er war noch am Leben und hatte den Hof nicht aufgegeben. Ich roch wieder das Alter der Hofgebäude, den Verfall der Gemäuer, die Armut der Leute, die gerade eingezogen waren, um noch einmal neu zu beginnen. Und obwohl der Franziskaner die Zuversicht selbst gewesen war, regte sich doch stets leiser Zweifel (auch in Kenntnis anderer alternativer Gemeinschaften), ob er sich angesichts dieser Ruine in der Brandenburgischen Wildnis nicht doch etwas überschätzt habe. Neulich fand ich, die Zeit sei reif, ihn wieder einmal aufzusuchen und die Bekanntschaft zu erneuern. Ich gestehe, ob meiner Zweifel beschämt: Der Augenschein war überwältigend! Was nicht nur an der Jahreszeit lag, die den alten Hof weitläufig mit saftigen Viehkoppeln und Sonnenblumenfeldern umschmeichelte. Es lag am neuen Dach der Stalles. An den etwas dunkler gefärbten Ziegeln, die schon aus einiger Entfernung den Namen des Hofes verkündeten - 100000 Euro mindestens, es klickte, auch ohne Rechenmaschine. Es lag an den Staudengärten, die sich um das Haupthaus schmiegten. Nicht nur, dass sie wollüstig blühten, auch dass mir aus ihrer Erdbeertiefe geduldige Arbeit und gärtnerisches Geschick entgegenwisperten. Es lag an den satten Gerüchen. An denen des Sommers und denen des Wohlstands - alles Brüchige saniert, solide Mauern, solide Böden. Und hinter der Notwendigkeit Schönheit, ein Hauch von Exklusivität. Es lag an den An- und Ausbauten: an den Gästebungalows, der schlichten Feldsteinkapelle im Keller, dem schmucken Kirchraum für Sonntagsgottesdienste, für Taufen und für Hochzeiten, dem bäuerlichen »Klosterstübchen« mit Blechkuchen und Obstweinen. Und es lag an Bruder Thaddaeus selbst. Er kam mir aus Richtung des Schweinestalls, aus dem Gemüsegärtchen entgegen, in der Hand je ein Büschel Selleriekraut und Petersilie für den Eintopf, der mittags auf den Tisch sollte. Statt um acht lange Jahre gealtert, schien er mir im Gegenteil verjüngt: Die Augenringe, die Tränensäcke von Landluft und Frieden gemildert, dafür Myriaden von Lachfältchen. Mein allzu offenkundiges Staunen, das natürlich auf der Stelle die ursprüngliche Skepsis verriet, nahm er mir zum Glück nicht krumm; gab es ihm doch gleich Gelegenheit, seine Erfahrung anzubringen: »Es klingt verrückt und keiner glaubt es, doch wer auf Gott vertraut, dem hilft er.« Und er wäre nicht Thaddaeus gewesen, hätte er sein Gottvertrauen nicht mit einem Witz untermauert: Die Geschichte des Mannes, der in den Teich fiel und lauthals um Hilfe rief. »Kam ein Feuerwehrmann vorbei, sagte: "Warte, ich werfe ein Seil." Sagte der Mann: "Lass gut sein, Gott hilft mir." Das Wasser stand ihm bis zur Hüfte, kam der Feuerwehrmann erneut: "Warte, ich werfe ein Seil hinüber." Darauf der Mann: "Lass gut sein, Gott hilft mir." Das Wasser stand ihm bis zum Hals, kam der Feuerwehrmann noch einmal: "Warte, ich werfe ein Seil hinüber." Röchelte der Mann: "Gott hilft mir..." Er ertrank, kam in den Himmel, wo er von Gott wissen wollte, warum er ihm nicht geholfen hätte. Sagte Gott: "Mein Lieber, das hab ich. Weißt du noch? Ich habe dir drei Mal einen Feuerwehrmann geschickt!"« Gott tut das Seine, den Rest muss man selbst tun. Ich war mir nicht klar darüber, wie im Falle von Bruder Thaddaeus die Aktien verteilt waren. Letztlich war es auch egal, denn wie immer, wenn Ideologie funktioniert, stärkt sie ihre Anhänger. Was auch der Franziskaner so sah: »Glaube muss Lebenshilfe sein, ansonsten ist er überflüssig.« Bruder Thaddaeus, der Praktische: Der Rheinländer, der gelernte Kaufmann, der im bürgerlichen Leben auf den Namen Karl-Heinz hörte, der ein Mercedes-Cabrio fuhr, sich manchmal bis nahe ans Koma soff, irgendwann auf Sinnsuche ging, bei den Franziskanern einkehrte, im Streit um Sinn von ihnen schied und sich in der Pampa selbstständig machte, führte nur acht Jahre später ein prosperierendes Unternehmen! Von Gottes Anteil abgesehen - wie hatte er das bewerkstelligt? Wie mochte es ihm gelungen sein, in dieser doch recht kurzen Zeit ein derart offensichtliches, solides Vermögen zusammenzubringen? Wir plauderten im »Klosterstübchen«, der gemütlichen Hofgaststätte. Sie befand sich im früheren Kornspeicher, der, wenn ich mich richtig erinnerte, damals noch ziemlich zugig war und unterm Dach eine enge Werkstatt zur Herstellung von Arrangements aus Trockenblumen beherbergte. »Mit den Blumen haben wir ein Schweinegeld verdient«, sagte er, wobei ihm die Brust ein wenig anschwoll. Dabei lächelte er, so dass er dem Fuchs glich, der sich der Gans bereits gewiss ist: »Heute geben die Leute dafür nichts mehr aus. Heute kaufen sie Lebensmittel: Fleisch und Wurst, die Metzger Kieslich aus unseren Schweinen herstellt, Gänse, Hühner und Spezialitäten von Produzenten der Region - man muss die Zeichen der Zeit verstehen und ein bisschen zocken können.« 1996, am vierten Advent, berichtete er, war der Speicher abgebrannt. Ein Kurzschluss oder eine Kippe. Gott sei dank war der Speicher versichert. Die Werkstatt zog um, über den Stall, nun als geräumiges Atelier mit Holzbalken und schicken Fenstern, und seltsamerweise nahm ich ihn später, in der Nähe des Himmels, nicht wahr, den infernalischen Gestank, den unten zweihundert Schweine verbreiten. Der Speicher erstand in neuer Pracht. Mit ebenjenem »Klosterstübchen«, in dem wir vorerst zusammensaßen. Das Stück Kirschkuchen war köstlich. Manchmal, verriet er, backt er ihn selbst, manchmal, wenn er auf die Märkte fährt, hinterlässt er das Rezept. Die Früchte nimmt er aus dem Glas, »wenn sie aus eigener Ernte wären, brauchten wir hier eine Plantage, bei so viel Kuchen, wie wir verkaufen.« Er erzählte, dass er an den Wochenenden bis zu 50 Gäste bewirtet: Drei Euro für Erbseneintopf mit Bockwurst, sechsfünfzig für Eisbein mit Sauerkraut - »auch Leute, die finanziell schwach sind, können hier mit vier Leuten essen.« Doch natürlich war ihm klar, dass die wenigstens allein wegen der zivilen Preise von Berlin nach Zehdenick pilgern: »Sie glauben, hier sei die Welt noch heil. Weil sie meine Ausbrüche nicht kennen!« Unter sanfter Mittagssonne streiften wir durch das Gehöft. Brüderliche Ausbrüche - als ich darüber nachdachte, konnte ich sie mir vorstellen. Sie taten mir nur ein bisschen Leid, die 22 Kommunenmitglieder, Langzeitarbeits- und Obdachlose, die hier ihren Unterhalt verdienen und damit Selbstachtung wiedergewinnen. »22 erwachsene Männer, die zusammen arbeiten, zusammen wohnen, zusammen beten, zusammen essen, zusammen trinken, sind eine hochexplosive Mischung. 1000 Kleinigkeitkeiten unter dem Brennglas, auf einmal wirds heiß, dann bricht Feuer aus...« Ich wusste, bei Bruder Thaddaeus bricht es aus und erlischt wieder. Er seufzte: »Wir hatten einen hier, der war heroinsüchtig. Jetzt ist er clean und arbeitet wieder. Einen anderen, der einen Schlaganfall hatte, haben wir vier Jahre gepflegt, und noch einer ist schizophren...« Jetzt war er am Überlegen, ob er dieser schwierigen Gesellschaft noch einen Mann zumuten sollte, der seit 28 Jahren wegen Mordes in Tegel einsitzt. Ich spürte sein Unbehagen. »Manchmal«, schüttelte er sein Haupt, »hoffe ich, die lassen ihn, selbst wenn ich zusage, nicht raus. Aber das ist doch Heuchelei! Wenn ich sonntags das eine predige und mir im Stillen das andere wünsche. Ich weiß, wie Jesus entschieden hätte...« Und mir war klar, dass er letzthin ebenso entscheiden würde. War doch der Charakter der Kommune zugleich ein Marketingbestandteil. Da war seine Stimme auch schon wieder christlich: »Eigentlich macht mich das ja froh: Dass die Leute, die uns besuchen, so eine Gemeinschaft anerkennen. Dass manche sich sogar gemerkt haben, wann einer Geburtstag hat, oder Zigaretten aus Polen mitbringen.« Hinter der archaischen Linde, nach wie vor Blickfang in der Hofmitte, schippte Detlev dunkle Erde. Detlev ist einer der 22, von denen Bruder Thaddaeus erzählte. Kurz wechselten wir ein paar Worte: Über das »persönliche Pech«, das ihn auf den Hof geführt hatte, und darüber, dass es ihm hier gut geht. Er habe hier Wohnung, Essen, Trinken, Zahnpasta und Kleidung umsonst, plus Sozialversicherung. Außerdem bekomme er pro Tag fünf Euro Taschengeld, mehr brauche er nicht, damit sei er zufrieden. Wer auf dem Franziskushof lebt, lebt nicht von Sozialhilfe. Bruder Thaddaeus hielt sein Prinzip von damals bis heute durch: »Der Gang zum Amt demütigt Menschen.« Spenden dagegen nehme er gern. Da kämen schon mal 20000, bloß die Behörden, die seien ein Elend. Vielsagend faltete er die Stirn: »Die sahen uns als Wirtschaftsbetrieb, dabei sind wir auch ein ideeller: Wer hierher kommt, der sucht Hilfe. Der kostet mehr, als er erarbeitet. Und wenn es nur ums Geld ginge, könnte ich mich wieder wie damals, beim großen Oderhochwasser, mit der Drehorgel auf den Kudamm stellen - in zwei Tagen 3000 Mark, die wir den Opfern überwiesen. Den Männern hier würde ich damit nicht helfen.« Wenn Bruder Thaddaeus die Kutte anzieht, öffnen sich die Portemonnaies. Gerade hatte er in der Mommsenstraße in Berlin-Charlottenburg einen Hofladen eröffnet: »Wir müssen dorthin, wo das Geld ist.« Auch ministeriale Gunst ist ihm sicher. Gönner aus Brandenburgs Landesregierung setzten durch, dass das Finanzamt den Hof nunmehr als Zweckbetrieb einstuft, das heißt, was ihm gespendet wird, muss nicht auf »der Reeperbahn verjuxt«, sondern darf investiert werden. Mit Stolpes Nachfolger, Deichgraf Platzeck, »kann er«, wie er versicherte: Dem Franziskaner, der sich grundsätzlich nicht abwimmeln lässt an Stellvertreter - »ich spreche auch nicht mit dem Papst, sondern nur mit dem lieben Gott« -, etwas abzuschlagen, ist schwer. Er will keine Fördermittel, sondern nur ein »Dankeschön«, das ihm dann am liebsten ist, wenn es fünf- oder sechsstellig ausfällt. Falls jemand glaubt, er schulde ihm nichts, pflegt er ihm die Schuld vorzurechnen, auf drei Millionen kommt er immer: 22 Arbeits- und Obdachlose, für die er die Sozialhilfe spart, die nicht auf der Straße leben, die nicht schwarzfahren und nicht klauen, keine Gerichte beschäftigen... Lebenskunst: das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Oder es sich angenehm machen, indem man das Nützliche tut. Je mehr der »Bruder Manager« preisgab, desto mehr blieb er mir ein Geheimnis; so geht es mir mit Menschen immer. Ich sah, dass er mit dem Franziskushof sein kleines Wunder geschaffen hatte. Ich sah, dass zwei Dutzend Gestrandete arbeiteten und aufrecht gingen. Ich sah, dass Bruder Lukas fehlte, der einst sein Partner auf dem Hof war - Thaddaeus winkte lässig ab: »Der ist auf und davon mit ner Frau, die größte Pleite meines Lebens.« Ich sah, dass er sie verwunden hatte: »Es macht mich nicht nervös«, sagte er, »hilf dir selbst, dann hilft dir Gott - er wird mir jemand anderen schicken.« Ich sah, dass er mit seinem damals schon kranken Herzen offenbar Waffenstillstand geschlossen hatte: »Mein Arzt sagt, es schlägt, so lange ich lebe.« Ich sah, dass er aufgeblüht, in schönem Einklang mit sich selbst war. »Ja«, meinte er, »ich bin zufrieden. Ich bin hier Bäcker, Gärtner, Koch, Gastwirt, Händler, Manager - all das wollte ich als Kind werden.« Sogar eine Bruderschaft hatte er nach seinem Gusto gegründet. Die Ökumenischen Franziskaner gehören zur Alt-Katholischen Kirche, »in der auch mal ne Scheidung erlaubt ist - man muss seinen Glauben leben können.« Ich kam nicht umhin, mir einzugestehen, dass Gott und der alte Mönch ein wirklich schönes Paar abgeben. Nur: Wie kommt der Glaube in ein Herz? Als jemand, der an nichts mehr glaubt, war es mir unmöglich, das zu verstehen. Auch für Bruder Thaddaeus war die Frage nicht leicht zu beantworten. »Glaube ist Gnade«, sagte er, »das hieße, Gott ist auch ungerecht.« Es gefiel ihm ganz und gar nicht. Als wir uns verabschiedeten, vermutete ich, er würde demnächst, wenn die Geschäfte ihm Zeit ließen, noch einmal darübe...

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