Bemühter Bühnenzauber
Mozarts letzte Oper hallt von einer gigantischen Rampe über den Wannsee
Was Schinkel in seiner grandios pompösen Ausstattung von 1815 noch in zwölf Entwürfen ausführte, fasst Momme Röhrbein nun in einer einzigen sinnträchtigen Dekoration zusammen: 18 Meter hoch und 20 Tonnen schwer ist jene gigantische, illusionistisch steinverfugte Pyramide, Symbol auch für die Ägyptenschwärmerei der Mozart-Ära, vor und in der am Strandbad Wannsee »Die Zauberflöte« spielt. Die kreisrunde Öffnung im Zentrum bildet eine der Spielflächen und macht als Durchblick zum Wasser die streng geometrische Dreiecksform transparent.
Was sich lange auf Wanderschaft befand, das Projekt Seebühne für Mozarts letzte Oper, hat jetzt seine Heimat gefunden und mobilisiert ganz offensichtlich Publikum: Viele der 3800 Plätze in einer der zwölf Aufführungen bis Monatsende sind seit langem ausverkauft. Das hat mehrere gute Gründe. Zum einen zieht der Name Katharina Thalbach, die, neben ihrem Beruf als furiose Schauspielerin, wiederum eine Opernregie verantwortet. Zum anderen kommen Freilichtveranstaltungen mit klassischem Erbgut zunehmend in Mode: Man muss sich nicht fein machen und erlebt dennoch Kunst auf erlesenem Niveau. Und freilich hat Mozarts geniale Musik bis heute, 220 Jahre nach der Wiener Uraufführung, nichts an volkstümlicher Strahlkraft eingebüßt.
Vom Bühnenzauber allerdings lebt »Die Zauberflöte« dennoch, und auch dafür hat Röhrbein gut vorgesorgt. Eine Felslandschaft mit Palmen ist der Pyramide rechts vorgelagert und kann durch Licht zum alleinigen Spielort werden; auch links züngeln Palmen am Steinbau nach oben. Fabelwesen wie Prinzessin und Schimmel oder ein lebendes Sonnensymbol defilieren bereits vor Beginn durchs Zusehvolk; Elemente barocker Theatermaschinerie wie tragbare Wellenkämme, schaukelnde Schiffe, riesige Goldfische oder Nessie-Schlangen mit Glutaugen amüsieren während des Abends und stillen das Schaubedürfnis.
Was man Katharina Thalbach aber vor allem zu danken hat: Nirgends verrät sie Mozart und seine humanistischen Absichten an eine überbordende Show. Mittelpunkt bleibt die Geschichte von der Läuterung des Prinzen und seiner Braut hin zu tätiger Menschlichkeit, fort aus der Gewalt einer nächtlich bösen Königin. Dass Thalbach die Dialogtexte, so für Papageno, mit Witz anreichert und Raum für etwa wetterbedingte Improvisationen lässt, trifft mehr als es stört. »Die Zauberflöte« bleibt, was sie trotz fabulöser Arien ist: eine Popularoper höchsten Anspruchs. Und populär meint hier, Gefühle auszudrücken, die jeder kennt.
Das tut vornehmlich Guntbert Warns Papageno, der, wie einst Paul Hörbiger, für die Praxis des Nicht-Sängers steht. Aber was für ein Kaliber an Gaukler, an Volksheld mit Angst in der Hose und doch dem Mut des Schwachen. Als Antipode des hehren Tamino leistet er Vorzügliches, dirigiert ein Vogelgeschwader, lallt leicht trunken, »Ein Mädchen oder Weibchen«. In Franziska Krötenheerdt gewinnt er eine ebenso spielfreudige und wandelbare Papagena, mit der er zupackend Kinderlein zeugt. Unter Dampf und an einem Kranarm weit ins Freie hineinragend ermutigt die Königin der Nacht Tamino »O zittre nicht, mein lieber Sohn«, zieht ihn in ihr Ränkespiel, singt später ihre »Rache«-Arie so makellos, dass bei den Koloraturen das Silber auf dem Kopf zittert. Die junge Portugiesin Raquel Alao, Teil der internationalen Sängermannschaft, führt sich hier ebenso nachdrücklich ein wie Hauke Möller als erfahrener Tamino mit Lyrikschmelz. Katharina Leyhes schlanker Sopran als Pamina weiß sich im Duett mit Papageno zurückzunehmen, in den Szenen mit Tamino umso edler zu entfalten. Sie hat sich dem Zudringen des Monostatos, hier mit Rasta-Locken, zu erwehren, und gelangt gemeinsam mit Tamino zu den Weihen der Weisheit, die ihnen der australische Nobel-Bass Karl Huml als Sarastro zugedenkt.
Schmückt natürliches Abendrot-Gekräusel den ersten Teil, so zucken künstliche Feuerblitze, tost Meer beim Gang durch die Schreckenspforte im zweiten Teil, ehe das Dreieinhalb-Stunden-Spektakel der guten Art mit dem Sieg der Gerechten endet.
Bis 28.8., Seebühne, Wannseebadweg 25, Bus-Shuttle ab S-Bahn Nikolassee, Kartentelefon: (01805) 57 00 70
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