Nein bedeutet Nein
3000 Frauen und Männer demonstrieren mit einem »Schlampenmarsch« gegen sexuelle Übergriffe
»Schlampen, Schwestern, Omas, Engel, Sexarbeiterinnen, Girlies …« – minutenlang schallte die Ansage durch die Straßenschluchten in Mitte. »Wir sind nicht zu vergewaltigen, nicht zu bedrohen, nicht ruhig zu stellen.« Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem zogen zu diesem Text am Samstagnachmittag fast 3000 Menschen vom Wittenbergplatz bis zum Gendarmenmarkt. Wie in 13 weiteren deutschen Städten hatten sie sich zu »SlutWalks« zusammengeschlossen, um gegen alltägliche sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungsmythen zu demonstrieren.
Auf Plakaten trugen die Männer und Frauen Slogans der zweiten Frauenbewegung. »Mein kurzer Rock hat nichts mit dir zu tun«, stand dort oder: »Mein Körper, meine Entscheidung«. Die Selbstbezeichnung als »Schlampe« aber war neu – viele hatten sie sich auf Bauch und Brüste geschrieben. Warum? Anfang des Jahres hatte ein Polizist in Toronto Studentinnen belehrt, sie sollten sich nicht wie Schlampen anziehen, wenn sie nicht Opfer sexueller Übergriffe werden wollten. Entrüstete Studierende formierten sich daraufhin spärlich bekleidet zu einem Marsch der Schlampen.
»Ich würde mich nicht so bezeichnen«, sagt Selda. »Aber jede Frau wurde doch schon mal Schlampe genannt, ohne dass sie es wollte.« Die 18-Jährige fühlt sich wohl auf der Demonstration – trotz des Minirocks, mit dem sie sich sonst nicht raus traut. Interessiert lauscht sie den Redebeiträgen. Am U-Bahnhof Bülowstraße spricht eine Vertreterin der Initiative für eine Gedenkstätte auf dem ehemaligen Mädchen-KZ Uckermark. »Gegen viele der inhaftierten Mädchen lautete der Haftgrund asozial oder sexuell verwahrlost«, erklärt sie. Ihr Vergehen: Als Sexarbeiterinnen oder mit wechselnden Partnern verstießen sie gegen die Sexualmoral und waren damit vogelfrei. Dass solche Ansichten bis heute fortbestehen, bestätigt eine Aktivistin von Women in Exile. In den Flüchtlingsunterkünften am Rande der Gesellschaft seien Vergewaltigungen an der Tagesordnung, sagte sie.
Die 34-jährige Monika ist auch aus professionellem Interesse hier. »›Vergewaltige nicht!‹ statt ›Laß’ dich nicht vergewaltigen!‹« steht auf ihrem Plakat. Monika arbeitet in einer Beratungsstelle für Opfer sexueller Gewalt. »Viele Frauen denken, sie tragen eine Mitschuld«, erklärt sie. Die Fälle Kachelmann und Strauss-Kahn hätten die Betroffenen weiter verunsichert. »Sie haben Angst, dass aus irgendeinem Detail ihrer Geschichte geschlossen wird, sie hätten es doch gewollt.« Dabei müsse man doch nackt durch die Straßen laufen können – ohne einen Spruch.
Dass dem nicht so ist, zeigen die Reaktionen am Straßenrand. Schaulustige halten mit Kameras auf die blanken Brüste der Teilnehmerinnen – nicht alle haben Sympathie. »Was wollt ihr denn noch?«, provoziert ein älterer Herr. Als eine Gruppe Halbstarker anzügliche Sprüche loslässt, wird sie niedergebrüllt. Erst am Gendarmenmarkt, dem Endpunkt des Zuges, kommen die Sexarbeiterinnen zu Wort. »Wir sind die Schlampen per Definition!«, ruft eine Aktivistin der Hurenorganisation Hydra e.V. Nicht alle Initiativen hatten sich solidarisch erklärt. Eine Sexarbeiterin übernimmt das Mikrofon. »Nicht auf der Arbeit passiert mir die meiste Gewalt, sondern in meinem eigenen Umfeld«, kritisiert sie. Noch immer würde kaum über die Gewalt in den eigenen intimen Beziehungen geredet.
Zum Ende bricht dann eine Grundsatzdiskussion aus: Für wen wirbt der SlutWalk? Ist er – anders als es der Begriff Schlampe nahelegt – die Selbstbespiegelung einer weißen akademischen Mittelschicht? »Ich bin traurig, dass hier so wenige MigrantInnen sind«, sagt ein Sexarbeiter und Migrant zweiter Generation. Er erhält nur zögernd Applaus.
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