»Wir dachten, das Volk hätte sich abgefunden«

Damaskus ist die sicherste Stadt der Welt – außer für Oppositionelle

  • Martin Lejeune, Damaskus
  • Lesedauer: 6 Min.
Syrien kommt nicht mehr zur Ruhe. Seit nunmehr fünf Monaten demonstrieren Menschen in vielen verschiedenen Orten gegen die Regierung. Und genauso lange setzt diese Militär ein, um der Proteste Herr zu werden. Auch gestern. Trotzdem geht das Leben vielerorts anscheinend weiter wie bisher.
... und Salamah Kaileh, der eine erneuerte KP will.
... und Salamah Kaileh, der eine erneuerte KP will.

Die Cafés sind gut besucht an diesem Donnerstagabend im Fastenmonat Ramadan, hier auf der Hauptstraße des Dummar-Projekts. Jugendliche rauchen Wasserpfeifen, einige Ältere spielen Karten oder Backgammon. Doch die Stimmung ist nur auf den ersten Blick ruhig und gelassen. Im Gespräch mit den Damaszenern wird deutlich, wie sehr sie die angespannte politische Lage belastet. Die auch in Damaskus nicht abebben wollende Protestbewegung ist an fast allen Tischen das dominierende Thema. Die Gäste diskutieren sogar die Frage, wie lange Präsident Baschar al-Assad noch vom Regime getragen wird. Vor einem halben Jahr wären solche Erörterungen in aller Öffentlichkeit undenkbar gewesen.

Um der Hektik der Millionenmetropole und den sozialen Brennpunkten des Zentrums zu entfliehen, gründeten die Gewerkschaften der Ärzte und der Ingenieure in den 70er Jahren das Dummar-Projekt. Das Viertel liegt einige Dutzend Meter höher als das Zentrum und hat bessere Luft. Auch heute noch wohnen hier viele Lehrer, Ärzte, Ingenieure und Rechtsanwälte.

»Den Menschen in diesem Viertel geht es relativ gut. Ihr Leidensdruck ist nicht so hoch, dass sie auf die Straße gehen«, erklärt Ahmad Fawaz, ein Internist, der als Mitglied der Ärztegewerkschaft eine Wohnung in diesem Viertel bekommen hatte.

Fawaz war seit 1973 Funktionär der Kommunistischen Partei Syriens und verantwortlich für eine illegal herausgegebene Zeitung. Von 1980 an folgten 15 Jahre Gefängnis. 2002 verließ er die Partei. Oppositioneller ist er geblieben.

Für Fawaz ist das größte Problem der Protestbewegung in Damaskus, dass sie nur eine schmale Basis hat. Das Kräfteverhältnis zwischen Aufständischen und Regierungsanhängern falle zugunsten letzterer aus. Deshalb seien die Proteste schwach, und das gelte auch für die zweitgrößte syrische Stadt, Aleppo. Damaskus als Hauptstadt habe nun mal auch die größte Zahl an Beamten. Und es ist der größte Handelsplatz des Landes. »Beamte und Händler aber sind gegen einen Aufstand.«

Dass beispielsweise in Hama, einer weiteren Großstadt, die Protestbewegung Massencharakter annehmen konnte, erklärt Fawaz damit, dass es den Aufständischen gelang, den größten Platz der Stadt zu besetzen. »Dort versammelte sich die Opposition einen Monat lang. Die Sicherheitsleute blieben fern und die Demonstranten hoch diszipliniert.«

Zwar ist die Militärpräsenz in Damaskus nicht größer als in der Zeit vor Ausbruch der Unruhen, doch die in Zivil gekleideten Geheimpolizisten sind im Zentrum der Stadt allgegenwärtig. Außerhalb des Zentrums aber gibt es täglich Proteste.

In Damaskus ist das Leben im Ramadan kaum anders als in den übrigen Monaten des Jahres. Lediglich die festlichen Gerichte zum Iftar, dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang, unterscheiden sich angenehm vom gewöhnlichen Speiseplan. Im »Naranj«, einem beliebten Restaurant in der Altstadt, servieren die Kellner nach dem fünfgängigen Iftar-Menü Süßspeisen, die es nur während des Ramadans gibt. Um zwei Uhr nachts, als sich das Restaurant langsam leert, versichert der Kellner dem fremden Besucher, er könne auch noch um diese Uhrzeit unbesorgt nach Hause schlendern: »Damaskus ist die sicherste Stadt der Welt.«

Das gilt jedoch nur für diejenigen Damaszener, deren politisches Sinnen sich nicht gegen die Regierung richtet. In Al-Midan, einem Viertel südlich der Hafez-al-Assad-Straße, wurden Freitagmittag »einige dutzend Demonstranten von der Shabiha übel zugerichtet«, sagt mir ein Damaszener, der an Ort und Stelle gewesen sein will.

In der regierungsnahen Zeitung »Tischrin« finden sich derlei Schilderungen nicht. Die Shabiha-Miliz, das sind zivil gekleidete Schläger, die sich vornehmlich aus Alewiten rekrutieren, der religiösen Minderheit, der die Assad-Familie angehört. Die Shabiha habe Demonstranten auch in Kofferräume ziviler Autos gezerrt und weggekarrt, berichtet der Augenzeuge weiter.

Etwas weniger brutal als in Midan, aber keinesfalls entspannt ging es am Wochenende im Stadtteil Hamish zu. Dort trifft man frustrierte Akademiker, Journalisten und Lehrer, die zwar nicht zur Avantgarde der Protestbewegung auf der Straße gehören, aber in die innere Opposition gegangen sind. Ein frisches englischsprachiges Graffito an einer Hauswand fordert: »Du musst dir immer deinen Sinn für Humor bewahren«; gesprüht an einem Tag, an dem laut »Al Dschasira« in Syrien mindestens 20 Demonstranten getötet wurden, fünf davon allein in Duma, von Hamish nur zehn Minuten mit dem Bus entfernt. Es gibt nicht viele solcher sichtbaren Botschaften in der Stadt. Plakate oder Flugblätter sucht man vergebens. Die Wand, auf der das Graffito zu lesen ist, führt zum Eingang des Hauses von Salamah Kaileh, einem marxistischen Oppositionellen, der acht Jahre in syrischen Gefängnissen verbrachte.

Das Graffito ist so frisch, dass Kaileh es selbst noch nicht gesehen hat. Er bleibt lieber in der Wohnung und verfolgt die Ereignisse auf »Al Dschasira«. Durch die Berichte von Genossen weiß er, dass es in zahlreichen Damaszener Vierteln täglich zu kleineren Demonstrationen kommt. »Doch es ist gefährlich, dorthin zugehen. Man wird geschlagen und verhaftet«, erzählt Kaileh bei einem Kaffee in seiner Bibliothek.

»Ich bewundere den Mut und die Opferbereitschaft derjenigen, die auf dem schwierigen Terrain Damaskus der Shabiha die Stirn bieten. Wenn sich diese Jugendlichen auch weiterhin nicht einschüchtern lassen, gebe ich dem Regime nur noch wenige Wochen, dann wird es vom Militär gestürzt«, prophezeit Kaileh. Für die Zeit danach baut er mit einigen Genossen gerade eine neue kommunistische Partei auf. »Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme Syriens lassen sich im Kapitalismus nicht lösen.«

Samstagabend im Café »Domino« am Bab al-Tuma im Zentrum der Stadt. Der Regimekritiker Michel Kilo aus der Hafenstadt Latakia fährt nervös mit seinem Wasserglas über den Tisch: »Sie müssen ein gutes Gedächtnis haben, denn an diesem Ort dürfen Sie weder aufnehmen noch mitschreiben«, fordert er. Kilo, der zuletzt von 2006 bis 2009 im Gefängnis war, ist überrascht von dem seit fünf Monaten andauernden Aufstand, der zunehmend brutaler niedergeschlagen wird: »Niemand hatte es zuvor für möglich gehalten, dass sich die Bevölkerung mit so viel Opferbereitschaft auflehnen würde. Wir dachten, das Volk hätte sich mit der Unterdrückung abgefunden. Doch die Menschen wollen, Gott sei Dank, endlich ihre Freiheit zurückbekommen, die ihnen vor 50 Jahren genommen wurde.«

Kilo lobt die Moral der Aufständischen: »Jemand aus Dar'a sagte: Selbst wenn in der Stadt nur ein einziges Kind den Aufstand überleben würde, hätte es sich gelohnt.« Ruft ein solcher Satz keine Zweifel hervor? »Wenn in Ägypten nur zehn Prozent der Gewalt gegen die Aufständischen angewendet worden wäre, wie sie derzeit in Syrien ausgeübt wird, wäre der Aufstand in Ägypten nicht so weit gekommen«, glaubt Kilo. Für ihn sind die Proteste in Syrien eine »große Bewegung, die zur Befreiung vom Regime und später vielleicht einmal zur Befreiung des Menschheit führen kann.«

Ein Damaszener Gemüsemarkt in diesen Tagen
Ein Damaszener Gemüsemarkt in diesen Tagen
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!