Wir müssen leider draußen bleiben!

Die EU-Kommission geht juristisch gegen Deutschland vor, weil es zuzugswillige EU-Bürger diskriminiert

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Deutschland und andere EU-Staaten verstoßen gegen das geltende EU-Recht auf Freizügigkeit. Auch bei der Ausweisung von EU-Bürgern ist Deutschland strenger als erlaubt.

Offiziell ist es EU-Bürgern gestattet, innerhalb der Staaten der Europäischen Union nach eigenem Gutdünken hin- und herzureisen und sich dort niederzulassen, wo es ihnen genehm ist. Soweit die Theorie. In der Praxis gilt dennoch das still waltende Gesetz, dass man den Reichen willkommen heißt und es lieber sieht, wenn der Arme fortbleibt. Wie man Flüchtlinge von Europas Grenzen fernhalten möchte, scheint auch innerhalb der EU-Staaten nur der was wert zu sein, der von Nutzen ist oder Geld ins Land bringt. Vor allem Einreisende aus den armen EU-Ländern Bulgarien und Rumanien will man anscheinend nicht haben.

Insbesondere Deutschland, so heißt es nun, behindere den Zuzug von Bürgern aus anderen Ländern der EU und verstoße derart gegen europäische Vorschriften.

Das hat nun den Unmut der EU-Kommission auf sich gezogen, die bereits im Juni ein Verfahren gegen insgesamt zehn Staaten der EU eingeleitet hat. Auch Deutschland gehöre zu den Staaten, die das in der Europäischen Union geltende Recht auf Freizügigkeit verletzen. So würden bei Familienzusammenführungen »bestimmte Gruppen von EU-Bürgern diskriminiert« (»Welt online«).

Das geltende EU-Recht ermöglicht es den nach Deutschland eingewanderten Neubürgern, ihre Verwandten nachzuholen, wenn sie bereits im Herkunftsland mit ihnen zusammengelebt haben und für deren Unterhalt garantieren. Doch Deutschland genehmige den Zuzug von direkten Verwandten nur in »Härtefällen«, meint die EU-Kommission. Darüberhinaus müssten Homosexuelle, die ihrem Partner oder ihrer Partnerin nachziehen wollen, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nachweisen, wohingegen heterosexuelle Ehegatten und -gattinnen dies nicht müssten. Außerdem werde den zugezogenen Partnern von den deutschen Behörden eine Arbeitserlaubnis verwehrt, auf die sie in der EU Anspruch haben.

Ein weiteres Beispiel: Wenn ein Staat Mitglied der EU ist, können seine Bürger in der Regel nicht aus einem anderen EU-Land ausgewiesen werden. Nur wenn ein eingereister Bürger die »öffentliche Sicherheit« gefährdet – was immer auch im einzelnen damit gemeint sein mag –, kann er für eine gewisse Zeit ausgewiesen werden. Deutschland aber weise Bürger auf unbegrenzte Zeit aus und sei bei solchen Ausweisungen strenger, als die EU-Vorschriften es zulassen, beklagt die EU-Kommission.

Die Justizkommissarin Viviane Reding ließ mitteilen, sie werde in dieser Angelegenheit »wachsam bleiben« und führe gegenwärtig einen »konstruktiven Dialog« mit der Bundesregierung. Das Bundesinnenministerium reagierte, wie Ministerien üblicherweise reagieren. Nämlich indem es das Problem kleinredete, vage Ankündigungen machte und die Kritik zurückwies: Man sei »zuversichtlich«, was offene Fragen angehe. Homosexuelle Lebenspartner wolle man künftig Verehelichten gleichstellen. Und im Übrigen genehmige man Einreisenden den Nachzug von Angehörigen nicht nur »in Härtefällen«.

Sollte die Bundesregierung ihre Gesetzgebung tatsächlich korrigieren, wird das Verfahren voraussichtlich wieder eingestellt. Im anderen Fall könnte es zu einer Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof kommen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.