Sozialpolitik mit Abrissbirne
Wegen Fachkräftemangels droht in Hessen eine »Pflegekatastrophe«
An hessischen Altenpflegeschulen ist man beunruhigt. Ohne eine stärkere Förderung der Ausbildung des Pflegenachwuchses durch die Landesregierung werde der »Übergang vom Fachkraftnotstand in die Fachkraftkatastrophe« weiter fortgesetzt, warnte Jürgen Eierdanz, Vorsitzender der Schulleiterkonferenz, am Wochenende auf ND-Anfrage. Neue Ausbildungskurse und etliche Schulen seien über kurz oder lang in ihrer Existenz gefährdet.
Eierdanz spricht für 44 Altenpflegeschulen im Land, die in allen Landkreisen Hessens zu finden sind und den Nachwuchs in einer zukunftsträchtigen Branche ausbilden. Diese Nähe zum Wohnort macht den Ausbildungsberuf attraktiv und ist entscheidend, um auch jugendliche Schulabgänger aus ländlichen Regionen zu gewinnen. Träger der Bildungsstätten sind neben der Liga der Freien Wohlfahrtspflege auch einige Kommunen und Private.
Dabei fehlten allein im Sechs-Millionen-Land Hessen in der Altenpflege derzeit schätzungsweise 2000 Fachkräfte, so Eierdanz. Weil Prognosen von immer mehr Demenzkranken ausgingen, müsse die Qualität der Ausbildung weiter entwickelt und die personelle und materielle Ausstattung der Schulen verbessert werden. Dies werde aber durch die gegenwärtig stattfindenden Kürzungen verhindert.
Die hessische CDU/FDP-Landesregierung habe jahrelang die Zahl der geförderten Ausbildungsplätze auf 3500 begrenzt. Zwar wolle sie nun 250 zusätzliche Plätze aus Landesmitteln und weitere 250 Plätze durch die Arbeitsagenturen finanzieren. Doch ihre Mehrausgaben gleiche sie durch Kürzungen beim Schulgeld aus, also der für jeden Auszubildenden gezahlten monatlichen Platzpauschale.
Verärgert ist man über die per Verordnung verfügte Abweichung von der bisherigen Regelung, für kurzfristig ausgeschiedene Auszubildende 90 Prozent des Schulgeldes weiter zu zahlen. So sollen die Schulen bei Abbruch der Ausbildung nach sechs Monaten nur noch die Hälfte des Schulgeldes für ein halbes Jahr erhalten. Damit dürften ihnen Jahr für Jahr mindestens 800 000 Euro fehlen. Dabei habe die bisherige 90-Prozent-Regelung den Bildungsstätten noch eine gewisse Planungssicherheit verschafft, weil Fixkosten, etwa für Lehrkräfte und Räume, auch nach dem vorzeitigen Ausscheiden einzelner Auszubildender weiter bestünden, sagt Eierdanz. Zudem sei hier die Abbrecherquote mit etwa zehn Prozent im Vergleich zu anderen, von Frauen dominierten Ausbildungsberufen relativ gering.
Das Schulgeld war seit 2002 nicht mehr angehoben worden und ist somit inflationsbedingt real um 15 Prozent zurückgegangen. 2002 hatte die landeseigene Investitionsbank Hessen im Auftrag des Sozialministeriums einen Bedarf von 389 Euro für kleine und und 335 Euro für größere Schulen ermittelt. Demgegenüber habe die Landesregierung damals für kleine Schulen lediglich 345 Euro und für größere 307 Euro angesetzt. All dies gehe allmählich an die Substanz und zwinge die Schulen, bei Personal- und Sachkosten Abstriche zu machen. Schlimmstenfalls drohe eine Entlassung von Lehrkräften oder gar eine Schließung kleinerer Schulen.
Mit ihrer Klage fanden die hessischen Altenpflegeschulen bei den hessischen Oppositionsparteien Gehör. Als »Sozialpolitik mit der Abrissbirne« bezeichnete die LINKEN-Abgeordnete Marjana Schott Grüttners neue Verordnung. Ein von ihr initiierter Antrag, der die Rücknahme der Kürzungen und eine Erhöhung der Beträge verlangt, wurde Ende letzter Woche im Landtag debattiert.
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