Spezialisierung auf alles

Videodrom – alte Qualität in neuen Räumen

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

»Haben Sie Borsalino?«, fragt ein Kunde die Videothekarin am Tresen. Doch er hat Pech: Ausgerechnet den französischen Gangsterfilm mit Alain Delon und Jean-Paul Belmondo gibt es im Videodrom nicht. Er ist auf DVD weltweit nur auf Französisch ohne Untertitel erschienen. Ansonsten findet man im Videodrom (fast) alles: vom amerikanischen Independentfilm über den thailändischen Schwulenfilm oder den japanischen Anime bis hin zum mehr oder weniger gehobenen Mainstream. Voraussetzung ist, dass der Film deutsche oder englische Untertitel hat.

Ende Oktober 2010 ist die seit 1984 existierende Kreuzberger Institution umgezogen. Nach Ablauf des Mietvertrags der alten Location in der Mittenwalder Straße, Ecke Fürbringerstraße, entschloss sich der Betreiber der Traditionsvideothek, Graf Haufen (dessen bürgerlicher Name in Vergessenheit geraten ist), zum Umzug in die 700 Meter entfernte Friesenstraße.

Die freundlichen neuen Räume kontrastieren denn auch mit dem dunklen »80er Jahre-Trash-Charme« (Zitat Haufen) des einstigen Standorts. Als Erstbesucher muss man nur aufpassen, nicht am jetzigen Videodrom vorbeizuschlendern, denn wegen Denkmalschutzauflagen am Haus gibt es bis dato nur einen bunten Namensschriftzug am Fenster.

Vier Räume hat das neue Videodrom: Die Billy-Regale des ersten Raums schmücken vornehmlich Neuheiten. Hinter dem Bereich für Kinderfilme kann man in einer Sitzecke nebst Nierentisch Platz nehmen, von der man eine gute Sicht auf das Humphrey-Bogart-Poster und die an die Wand gepinnten Schnappschüsse der unvergessenen Liz Taylor hat. Im schmalen zweiten Durchgangssaal finden sich Dokus, Musikfilme oder TV-Serien. Das dritte Zimmer ist in zum Teil kunstvoll gestalteten Ordnern nach Genrefilmen und Ländern aufgeteilt. Im roten und letzten Raum, dem nach David Lynchs »Twin Peaks« benannten Red Room, gibt es Fantasy und Werke englischsprachiger Regisseure.

Über einen beachtlichen Bestand von rund 27 000 DVDs verfügt das Videodrom. Die 15 000 VHS-Bänder sind zurzeit nicht verfügbar, da sie noch im Keller lagern. Auch sonst sind die Räumlichkeiten noch ein wenig provisorisch – mit einem dreiköpfigen Team ist nicht mehr drin. Zudem räumt Graf Haufen geduldig den Kunden hinterher, die DVDs falsch in die Regale einordnen.

Beim Stöbern helfen Empfehlungen des Videodrom-Teams. Sie heißen »Tipp von Graf Haufen«, »Herr Hartmann hilft« oder »Christine empfiehlt« und stecken als Aufkleber oder Pappkärtchen an den DVD-Hüllen. Zu jedem Film kann man am Computer neben der Theke umfassende Kommentare lesen und Trailer anschauen.

Zwar ist einigen Ex-Stammkunden der Weg auf die leichte Anhöhe nun zu mühsam, und auch das Internet mit seinem Riesenangebot an Filmen macht dem Videodrom Konkurrenz. Doch es kommt immer neue Kundschaft dazu, darunter auch internationale. Von Umsatzeinbrüchen von bis zu 30 Prozent, wie in einigen Hamburger Videotheken, sind die Kreuzberger verschont geblieben.

Was unterscheidet das Videodrom eigentlich von anderen Berliner Qualitäts-Videotheken? Graf Haufen betont, dass sein Team stets um die weltweit beste Fassung eines Films bemüht sei. Außerdem pocht er auf die »Spezialisierung auf alles«, von der sich der hauseigene Archivanspruch herleite.

So gibt es im Videodrom nicht nur die Topfilme bekannter Regisseure von Almodóvar bis Zinnemann, sondern auch ihre Flops oder Kuriositäten. Ich mache eine Probe aufs Exempel und verlange den wenig bekannten Trash-Film »Mr. Jolly lives next door« von Top-Regisseur Stephen Frears. Graf Haufen nennt mir prompt DVD-Ausgabe und Standort und lässt mich durchaus beeindruckt zurück.

Videodrom, Friesenstraße 11, Berlin-Kreuzberg; Tel.: (030) 692 88 04; montags bis freitags 14-23 Uhr, samstags 12-24 Uhr, sonntags 16-22 Uhr, Ausleihe: 3,60 Euro über Nacht, 10er-Karte: 29,90 Euro; www.videodrom.com

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