Migranten vor der Wahl

Traditionelle Bindungen haben an Kraft eingebüßt

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Migranten haben keinen deutschen Pass und dürfen nicht zur Wahl. EU-Zugewanderte wiederum dürfen nur die BVVen mitbestimmen. In der jüngeren Vergangenheit hat sich viel beim Wahlverhalten der stimmberechtigten Migranten verändert.
Migranten vor der Wahl

Die größte Zuwanderergruppe der Stadt, Menschen mit türkischen Wurzeln, sind längst in der Politik angekommen. Im Wahlkreis 3 in Kreuzberg treten sogar vier türkischstämmige Politiker gegeneinander an: Der Rechtsanwalt Muharrem Aras (SPD), sollte gute Chancen haben, glaubt man einer wenige Jahre alten Studie des Zentrums für Türkeistudien. Der zufolge haben Deutsche türkischer Herkunft starke Bindungen an die SPD. An zweiter Stelle steht der Zuspruch für die Grünen. Es folgen LINKE und CDU etwa gleichauf. Schwer hat es der SPD-Kandidat im Norden Kreuzbergs dennoch: Gerade Deutschtürken nehmen seiner Partei den Umgang mit Thilo Sarrazin übel. Somit sind seine Mitbewerber, der Umweltfachmann Turgut Altug (Grüne), der Verkaufsleiter Ertan Taskiran (CDU) und die Sozialpädagogin Figen Izgin (LINKE) nicht chancenlos.

»Die SPD ist die Partei der Türken. Die LINKE ist die Partei der Kurden«, lautet ein Spruch unter Zuwanderern aus der Türkei. Er nimmt darauf Bezug, dass für die SPD vor Jahren die ersten türkischstämmigen Mandatsträger in deutsche Landesparlamente einzogen, für die LINKE die ersten mit kurdischen Wurzeln. Evrim Baba-Sommer ärgert sich, wenn sie das hört. Die Tochter kurdischer Eltern hat bei den letzten Wahlen ihren Wahlkreis in Hohenschönhausen für die LINKE direkt gewonnen und will das jetzt wieder tun. »Wir machen keine Politik für eine bestimmte Ethnie sondern soziale Politik«, sagt sie. Zwar würden kurdische Vereine ihren Wahlkampf unterstützen. »Aber in meinem Wahlkreis leben vor allem Deutsche. Und unter den Zuwanderern dominieren Russlanddeutsche und Vietnamesen.«

Nach den Türken sind die Spätaussiedler aus den GUS-Staaten die zweitgrößte Migrantengruppe in der Stadt. Ihre Zahl wird auf 75 000 geschätzt. Anders als Türkischstämmige drängen Russlanddeutsche nicht in die Politik. Es gab noch nie einen Russlanddeutschen im Landesparlament. Der einzige russlanddeutsche Berufspolitiker in Berlin heißt Artur Fütterer. Der 53-Jährige ist Bezirksverordneter der CDU in Treptow-Köpenick und arbeitet als Geschäftsführer seiner Fraktion. Diese Jobs will er nach der Wahl fortsetzen. »Ich bin wertkonservativ«, sagt Fütterer. »Als ich 1995 nach Deutschland kam, wurde ich in meinem Beruf als Fluglotse nicht gebraucht.« Der sowjetische Abschluss war hier nicht anerkannt. Wie zahlreiche russlanddeutsche Akademiker verbrachte Fütterer seine Zeit zu Hause vor dem Fernseher. Er liebte politische Talkshows und schwärmte für Helmut Kohl und Norbert Blüm. Seine Frau habe ihn gefragt: »Warum ich das immer nur im Fernsehen angucke. Sie meinte, wenn ich mal selber hingehe zu meiner CDU, dann würde ich neue Freunde und Bekannte finden.« Fütterer griff den Vorschlag auf.

Repräsentative Studien über das Wahlverhalten der Russlanddeutschen gibt es nicht. Mario Czaja, der CDU-Chef in Marzahn-Hellersdorf, dem Bezirk mit den meisten Russlanddeutschen, hat beobachtet: »Es ist nicht mehr so, dass uns Russlanddeutsche automatisch wählen.« Die CDU seines Bezirkes hat heute noch 20 russlanddeutsche Mitglieder. Es waren einmal mehr als 60. CDU und LINKE treten in dem Ostbezirk mit russlanddeutschen Kandidaten für die BVV an. Eine sehr starke Bindung an die LINKE beobachtet Evrim Baba-Sommer unter Zuwanderern aus dem Iran. »Von dort sind viele Intellektuelle und Künstler geflüchtet, die mit uns sympathisieren.« Sie hofft auch auf die Stimmen einiger Deutschvietnamesen. Viele von ihnen würden aber gar nicht wählen gehen.

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