Seniorenbezirk am Stadtrand?
Marzahn-Hellersdorf kontra Vorurteile
Trabanten- und Randbezirk, Plattenbauviertel: Wenig schmeichelhafte Namen gibt es so einige für den im Ostteil Berlins liegenden Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Doch die Neubausiedlungen der 70er und 80er Jahre in Marzahn sind längst nicht Standard im Stadtbild. Einzelne Stadtteile grenzen direkt an Brandenburg, auf der einen Seite Kopfsteinpflasterstraßen und Mehrfamilienhäuser – auf der anderen Seite Wald und Feld. Das Wuhletal, das durch beide Stadtteile führt, prägt den Bezirk ebenso wie die Stadtrandsiedlungen aus den 20er und 30er Jahren.
Der Bezirk wirbt gern mit seinen Parks und Wiesen, auch um das Image des Hochhausviertels los zu werden. Doch heute hat Marzahn-Hellersdorf ganz andere Probleme. Die Folgen des Wandels im sozialen Innenstadtmilieu sind auch hier angekommen. Jungen Menschen ziehen weg, damit geht es dem Bezirk wie sonst den neuen Bundesländern. Gleichzeitig verzeichnet Marzahn-Hellersdorf einen überdurchschnittlichen Zuzug älterer Berliner. Steigende Mieten, Sanierung und Townhouses: Wo Stadtteile wie Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte und Pankow Menschen zwischen 20 und 30 anzulocken suchen, werden nicht nur die Alten, sondern auch Alteingesessenen verdrängt: an den Stadtrand.
2009 betrug das Durchschnittsalter 42,4 Jahre, was in etwa dem Berliner Durchschnitt entspricht. Aufgrund der demografischen Welle altert die Bevölkerung in Marzahn-Hellersdorf jedoch deutlich schneller als im Berliner Durchschnitt. Lag das Durchschnittsalter 1991 noch fast zehn Jahre unter dem Berliner Durchschnitt, so entspricht es heute fast diesem Durchschnitt.
Seit knapp fünf Jahren regiert die Linkspartei den Bezirk Marzahn-Hellersdorf gemeinsam mit der SPD. In der Bezirksverordnetenvollversammlung (BVV) verfügen die LINKE über 22, die SPD über 15, die CDU über 8 und die Grünen über 4 Sitze. Die Themen Jugend und Bildung stehen im Bezirk von jeher im Fokus. Als Randbezirk hat Marzahn-Hellersdorf mit besonderen Anforderungen zu kämpfen. Schließlich gilt es hier, dem Problem der Abwanderung der Jungen beizukommen. Gleichzeitig ist die Zahl der arbeitslosen über 50-Jährigen hier so hoch wie in sonst keinem Bezirk, in den letzten Monaten lag die Zahl immer um 6000.
Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der 18- bis 25-Jährigen um knapp 11 000 Personen sinken, was einem Rückgang um 40 Prozent entspricht – so die bezirkseigene Prognose aus dem Jahr 2009. Ähnlich ist es demnach bei der Elterngeneration (45 bis 55 Jahre), die in den nächsten zehn Jahren um 36 Prozent schrumpfen wird. Natürliche Ursachen für die Bevölkerungsabnahme gibt es jedoch nicht, Geburten- und Sterberate gleichen sich weitgehend aus.
Die LINKE setzt daher aufs Netzwerken. Die Zusammenarbeit von BürgerInnen, gemeinnützigen und privaten Trägern und der kommunalen Verwaltung müsse verbessert werden, so die Fraktion zur Wahl. Man wolle die Senioren weiterhin in die Bezirkspolitik einbinden und die »Arbeit der bezirklichen Seniorenvertretung durch die verlässliche Bereitstellung von Ressourcen« sichern. Zudem sollen die im Bezirk ansässigen Wohnungsunternehmen in die Ausgestaltung des Konzepts »Wohnen bis ins Alter – barrierefrei, familienfreundlich und Generationen übergreifend« eingebunden werden.
Bei der SPD-Fraktion hat man das Problem zumindest schon erkannt: Der ehemals jüngste Bezirk von Berlin sei auf dem Weg, ein Bezirk mit hohem Anteil älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu werden, konstatiert die SPD im laufenden Wahlkampf. Und schlägt »die Schaffung von Mehrgenerationshäusern als Ort und Wirkungsstätte der Begegnung von Menschen aller Generationen« vor. Gemeinsame Aktivitäten wie Kinderbetreuung und die Betreuung älterer Menschen zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und zur Entwicklung haushaltsnaher Dienstleistungen sollen hier Platz finden.
Mit steigendem Alter nimmt die Mobilität ab, wobei mit Beginn des Rentenalters die Zuzüge in den Bezirk nochmals steigen. Insbesondere bei Frauen ab 65 ist ein verstärkter Zuzug nach Marzahn-Hellersdorf zu verzeichnen. Eine Ursache hierfür könnte sein, dass Ältere die Nähe zu ihren Kindern suchen, also dem Teil junger Menschen, der im Bezirk bleibt.
Die Wohnqualität und die Nähe zum grünen Umland werden besonders von älteren Menschen geschätzt. Sie kommen vor allem aus anderen Bezirken. Diese Altersgruppe verliert sonst lediglich an das Berliner Umland BewohnerInnen.
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