»Übrigens, euer Auto brennt«
Prozessauftakt gegen einen mutmaßlichen Flaschenwerfer und Feuerteufel
Er vereint alle Tugenden eines »linken Chaoten« auf sich. Er ist nicht nur der Flaschenwerfer auf Polizisten zur Maizeit, er ist auch nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft ein Autobrandstifter: Ian Martin S., 36 Jahre, Berliner, beruflich mit dem Fällen von Bäumen beschäftigt. Ist er »links« oder sonst irgend etwas? Ein biederer Mann sitzt da auf der Anklagebank. Eine politische Botschaft hat er nicht. Die Flaschenwürfe auf die Polizisten zur Walpurgisnacht in der Boxhagener Straße räumt er als »Eselei« ein, die Autobrandstiftung sechs Wochen später auf einem Hof der Lichtenberger Türrschmidtstraße leugnet er. »Nach dem 163. Brand sitzt der erste Zündler«, wusste ein Zeitung zu berichten. Doch einen Monat später war Ian Martin wieder frei.
Etwa 50 Prozent der Autobrandstiftungen sind politisch motiviert, sagt die Polizei. Das heißt, es handelt sich um eine »linke politische Straftat«. Doch woher weiß die Polizei das so genau? Die Zahl der verurteilten Feuerteufel ist in den letzten Jahren an einer Hand abzuzählen, ein weiterer sitzt in Untersuchungshaft. Er wurde auf frischer Tat erwischt. Ansonsten gab es nur Freisprüche. Der Rest ist Schweigen. Keine Bekennerschreiben, keine Manifeste, keine polizeibekannte Organisation. Woher also die 50 Prozent? Es sind ausschließlich Vermutungen, ist aus Polizeikreisen zu hören. An Automarken zum Beispiel könnte man ablesen, wer hinter einer Brandstiftung steht. Unter dem Strich bleibt es bei der Spekulation. Und obwohl nur Behauptung, greifen Politiker – noch dazu im Wahlkampf – diese Spekulationen mit Hinweis auf die Polizeiaussagen auf und verbreiten sie voller Innbrunst. Eigentlich ein Unding, dass die Polizei solche Spekulationen in die Welt setzt, doch es ist so. Seriöse Schätzungen gehen von fünf Prozent der Brandstiftungen aus, die eine politische Motivationslage haben.
Und Ian Martin? Hat er am 12. Juni gegen 1.50 Uhr einen auf dem Hof geparkten Mercedes angezündet? Nach Polizeilogik müsste es heißen: Mercedes bedeutet Nobelkarosse, also linker Brandstifter. Doch das Auto, das komplett ausbrannte, hatte nur einen Zeitwert von 5000 Euro und gehörte dem Wirt des Restaurants »Zum guten Happen« in der Türrschmidtstraße.
Das Geschehen spielte sich offensichtlich im Kneipenmilieu ab. Die Sonja (41) ist Stammgast im »Happen«, auch die Claudia (34). Und die Ilona (54) schmeißt die Bedienung. Bis zu sechs, sieben Stunden sitzen sie da, quatschen, spielen. Jeder kennt jeden. Es ist wie ein zweites Zuhause. Sie sind Zeugen und erzählen dem Gericht, was in jener Nacht geschah. Auch Ian Martin war in der Kneipe, dann verschwand er zu später Stunde für eine gewisse Zeit, um dann rußgeschwärzt mit dem Ruf »Übrigens, euer Auto brennt«, wieder aufzutauchen. »Er wollte sich noch waschen, doch wir haben ihn festgehalten, bis die Polizei kam«, sagen sie übereinstimmend. Ein vierter Zeuge, der genau über dem »Happen« wohnt, will gesehen haben, wie Ian Martin fluchend aus der Kneipe kam und dann über die Mauer sprang, wo der Mercedes stand. Die Tat selbst hat er nicht beobachtet, da er schon wieder vor dem Fernseher saß, als es geschah.
Als Motiv könnte Streit mit seiner Ex-Freundin vermutet werden. Er war sauer, musste sich irgendwie abreagieren – wie in der Walpurgisnacht – und da Autozündeln im Trend lag, langte er zu. Doch das bleibt vorerst Spekulation. Nun müssen Gutachter etwas über den Ruß sagen, der an Ian Martins Händen und im Gesicht gefunden wurde. Sicher ist nur, ein politisch motivierter Straftäter ist Ian Martin nicht, nur einer, der gerne mal mitmischen will – sonst nichts.
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