Hauptsache Beziehung

»Über uns das All« von Jan Schomburg

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn der Verlust zu groß ist, muss man den Verlust verlieren. Wenn eine Liebe plötzlich weg ist, die zum Fundament dessen gehörte, was man sein Leben nannte, muss eine neue Liebe her. Wenn sowieso jeder tut, als wäre er ein ganz anderer, als er ist, kann auch ein Dritter den verlorenen Ersten ersetzen, der in Wirklichkeit ein anderer, ein Zweiter war.

Für Martha Sabel stehen, als dieser Film beginnt, ein paar entscheidende Veränderungen an. Der Umzug, von Köln nach Marseille, weil ihr Mann dort seine erste Stelle antreten will. Und sie natürlich mit. Und dann, trotz mancher Vorzeichen völlig unterwartet, der jähe Verlust des Mannes. Und mit dem Verlust des Mannes auch der Verlust des Bodens unter den Füßen, der Sicherheiten, die eine behördlich beglaubigte Liebe in ihr Leben brachte. Dachte sie.

Martha Sabel, die ihren Job aufgab, um ihrem Mann zu folgen, die jetzt auf Kisten sitzt, weil alle Habe schon verpackt war, die sich und ihr Leben von jetzt auf gleich neu erfinden muss, mag ihre Liebe nicht lassen. Und sucht, kaum ist der Mann auch amtlich aus ihrem Leben getilgt, an ihren alten Treffpunkten in der Uni nach dem, was sie nicht ganz verloren geben mag. Sie findet: nicht Paul, denn der ist weg. Sondern Alexander, den sie erst gar nicht nach seinem Namen fragt, als sie sich vorstellt. Und dann Nino nennt, weil er sie nicht nur an Paul erinnert, in der Geste, wie er sein Haar aus der Stirn streicht, sondern vielleicht ein bisschen an Schlagersternchen Nino de Angelo.

»Über uns das All« ist das (auch selbst geschriebene) Langspielfilmdebüt von Jan Schomburg, und das muss ausdrücklich gesagt werden, denn anmerken kann man den Anfängerstatus weder dem Drehbuch noch seiner Inszenierung. Wie diese Martha Sabel sich ein zweites Glück erzwingt, herbeiredet, herbeihandelt, wie sie sich dem Neuen, den sie gar nicht kennt, einfach so präsentiert, wie sie es mit dem Ehemann tat, mit T-Shirt unten ohne im Bett und Fisch im Salzteig auf dem Tisch, ganz wie zu Beginn, als der Mann neben ihr noch Paul hieß und die Welt in Ordnung schien, ist eine Meisterleistung resoluter Verdrängung. Und vielleicht tatsächlich ein gangbarer Weg, nicht in Trauer und Unverständnis ob der Lebenslüge zu ertrinken, die einem aufgezwungen wurde, die man mitlebte, ohne es zu ahnen.

Sandra Hüller ist Martha Sabel, und wie sie erst nicht glauben kann, was ihr passiert, die ihren Paul immer ein bisschen trösten musste, aufmuntern, schubsen, damit er an ein Glück glaubte, von dem nur er wusste, wie tönern seine Füße waren, wie sie die Routinehandlungen lernt und ausführt, die an einem solchen Ende einer Ehe eben hängen, wie sie schließlich, ein einziges Mal nur, zusammenbricht und ihre Verunsicherung herausschreit, und wie sie dann in einer einzigen Geste eines ganz anderen Mannes eine Hoffnung auf ein Negieren vom Ende ihrer Liebe findet, das wäre schon wieder einen Silbernen Bären wert. Die Männer an ihrer Seite, Felix Knopp als Paul, still verzweifelt, Georg Friedrich als Nino/Alexander, verfügbar, interessiert – auch sie machen ihre Sache gut.

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