»Wir müssen unsere Basis zurückgewinnen«

Was ein Wahlgewinner unter den LINKEN zu Ursachen und Konsequenzen der Stimmenverluste sagt

  • Lesedauer: 3 Min.
Der Kita-Leiter Carsten Schulz ist Bezirkschef der LINKEN in Tempelhof-Schöneberg.
Der Kita-Leiter Carsten Schulz ist Bezirkschef der LINKEN in Tempelhof-Schöneberg.

ND: Herzlichen Glückwunsch!
Schulz: Wozu?

Natürlich zum Wahlergebnis. Tempelhof-Schöneberg ist ja neben Spandau der einzige Bezirk, wo die LINKE zulegen konnte, von 3,4 auf 3,7 Prozent.
Mager genug. Wir haben ebenfalls unser Wahlziel klar verfehlt, sind jetzt zwar mit zwei statt nur einem Abgeordneten in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten, aber nicht wie erhofft in Fraktionsstärke. Also kein Trost für das schwache Abschneiden insgesamt in Berlin.

Woran lag es?
Daran, dass wir den Wählern nicht deutlich machen konnten, was wir für diese Stadt bewirkt haben. Gemeinschaftsschule, öffentlicher Beschäftigungssektor für Langzeitarbeitslose und vieles andere haben wir auf den Weg gebracht, konnten diese Reformprojekte aber nicht so stark verankern. Die Haushaltsnotlage der Stadt hat natürlich dort auch enge Grenzen gesetzt.

Also ein Vermittlungsproblem?
Lange Zeit hat es keine gute Kommunikation mit außerparlamentarischen Gruppen und Gewerkschaften gegeben. Das ist in dieser Legislaturperiode besser geworden, aber die wesentlichen Wählerverluste hatten wir ja in der ersten Legislaturperiode.

Liegt es vielleicht auch daran, dass der LINKEN das Regieren nicht so liegt wie das Opponieren?
Das sehe ich nicht so. Ich glaube, dass wir in unserer ersten Legislaturperiode Kompromisse geschlossen haben, die für die Stadt nicht gut waren, uns auch jetzt noch geschadet haben. Zum Beispiel der Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW. In unserer zweiten Regierungshälfte ist unser Profil schon deutlicher geworden. Privatisierungen etwa im Gesundheitswesen konnten verhindert werden.

Trotzdem hat die Partei noch mal verloren. Ist das auch eine Frage des Politikstils? Sollte Politik modern und unbekümmert daherkommen wie die Piraten?
Modern ist immer gut. Aber vor allem geht es doch darum, Interessen zu vertreten, und nicht darum, Politik zu verpacken. Das hat man auch bei den Grünen gesehen. Die hatten zeitweilig sehr hohe Umfragewerte, die sie aber nicht halten konnten. Wohl auch, weil sie sich verändert haben, weg von der sozialökologischen Politik hin zu einer Politik auch für die Besserverdienenden. Natürlich gibt es jetzt die Forderungen, besonders an die LINKE im Bund, ihre Positionen zu modernisieren. Ich glaube aber nicht, dass dies unser Problem ist. Bei der Bundestagswahl 2009 haben wir hier in Berlin noch über 20 Prozent geholt. In den zwei Jahren haben wir sicher nicht so viel an Modernität verloren.

Mit den Piraten haben die Berliner den Protest gewählt. In der Opposition könnte die LINKE doch wieder ihr Protestprofil schärfen.
Protest wäre ja viel zu wenig für das Profil einer Partei. Wir müssen unser Profil schärfen als Interessenvertreterin der Beschäftigten und Erwerbslosen. Wir müssen jetzt versuchen, aus der Opposition heraus für sie Politik zu machen.

Wenn man die Wahlergebnisse der LINKEN vergleicht, dann ist Berlin immer noch gespalten. Die LINKE ist aber 2002 auch in die Regierung eingetreten, um Ost und West zu einen. Ziel verfehlt?
Vielleicht wurde ihr da etwas zu viel zugemutet. Ich sehe die LINKE vor allem als die Partei, die die Erwerbstätigen und Erwerbslosen vertritt, und deren Interessen sind in Ost und West gleich.

Wann wird die LINKE dann in Tempelhof-Schöneberg so viele Stimmen haben wie in Lichtenberg oder wenigstens in Pankow?
Zur Bundestagswahl 2009 waren wir im Bezirk schon zweistellig, hatten in einigen CDU-Hochburgen sogar 20 Prozent. Wir können also durchaus auch im Westteil erfolgreich sein.

Muss es nach dieser Wahl personelle Konsequenzen geben?
Ich würde jedenfalls nicht den beiden Bundesvorsitzenden die Schuld an unserem Abschneiden geben. Und im Landesverband muss man diskutieren, wer für welche Positionen steht und wer lernfähig ist. Aber eine reine Personaldiskussion wäre ein Fehler. wir müssen uns darauf konzentrieren, die verlorene Basis zurückzugewinnen.

Fragen: Bernd Kammer

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