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Fast drei Jahre für U-Bahn-Schläger
Gericht glaubte ihm seine Reue / Prügelorgie hätte jeden treffen können
Fast unbeteiligt nahm der 18-jährige Schläger am Montag sein Urteil im Berliner Landgericht entgegen. Zwei Jahre und zehn Monate Haft wegen versuchten Totschlags lautet die Strafe nach dem brutalen Überfall auf einen Handwerker im U-Bahnhof Friedrichstraße. Auf der einen Seite herrschte Erleichterung, dass der Gymnasiast nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkam. Doch es gab auch Kritik, dass der Schläger seine Haft nicht sofort antreten muss und auf freiem Fuß bleibt, bis das Urteil rechtskräftig ist. »Das ist das falsche Signal für Nachahmer«, sagte Opferanwältin Elke Zipperer.
Auch von der Untersuchungshaft war der Schüler verschont worden. Das Gericht glaubte dem schlaksig wirkenden Jugendlichen, der im Prozess sehr kontrolliert und in sich gekehrt wirkte, seine Reue. Man wolle ihm die Zukunft nicht verbauen, sagte Richter Uwe Nötzel. Möglich ist auch, dass der Schläger seine Strafe im offenen Vollzug absitzt und in der Zeit sein Abitur macht. Er will Jura studieren. Der Gymnasiast sei nicht der typische Schläger, sagte Nötzel. Im Jugendstrafrecht steht nicht die harte Strafe im Vordergrund. Erreicht werden sollen Einsicht und Änderung. »Die Strafe ist nicht das Ende«, wandte sich der Richter an den Verurteilten.
Das Überfallopfer saß am Montag im Saal 500 seinem Peiniger gegenüber, als das Urteil verkündet wurde. Sie sahen sich nicht an. Eine Entschuldigung hatte der 30-jährige Handwerker schon zuvor nicht angenommen. Der Installateur wird auch vier Monate nach der brutalen Attacke psychologisch betreut. Bis heute frage er sich, warum es gerade ihn getroffen habe, hatte er im Prozess gesagt. Es hätte wohl jedem passieren können, der zur falschen Zeit am falschen Ort war.
An dem Abend hatte der Handwerker ein Darts-Turnier gewonnen und war gut gelaunt auf dem Heimweg. Ihm fehlt jegliche Erinnerung an den Überfall. Der Berliner erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und Prellungen, einen Nasenbeinbruch, ein Zahn musste gezogen werden.
In der Nacht zu Ostersamstag hatte der betrunkene Gymnasiast vier Mal wuchtig gegen den Kopf des reglos am Boden liegenden Opfers getreten. Nach Überzeugung des Gerichts war dem Berliner das Schicksal des Installateurs gleichgültig. Der 18-Jährige sei drauf und dran gewesen, nachzutreten. Der Mann hätte sterben können. Das Motiv des Gymnasiasten aus bürgerlichem Elternhaus bleibt rätselhaft. »Er hat uns zu seiner Vorstellungswelt nichts gesagt«, erklärte Nötzel.
Der Schüler wurde von seinem Umfeld als freundlich, sozial und hilfsbereit beschrieben. Als schmächtiges Kind sei er der Prügelknabe in der Nachbarschaft gewesen. In der Schule gab es ständig Probleme, er fühlte sich als Opfer. Sein Alltag war geprägt von schweren Erkrankungen beider Eltern. Doch das wird das Überfallopfer wenig trösten. Er sei bis heute nicht wieder an dem U-Bahnhof gewesen, sagte der Handwerker.
»Meine Tat ist eine Schweinerei, ich schäme mich«, gestand der Schläger im Prozess. Er sei betrunken gewesen wie nie zuvor im Leben. Doch einen »Filmriss« nahm ihm das Gericht nicht ab.
Obwohl nach dem Überfall über einen Warnschussarrest, härtere Strafen und ein Alkoholverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln diskutiert wurde, löste das offensichtlich nicht viel Nachdenklichkeit aus. Immer wieder werden in Berlin Passanten oder Fahrgäste in Bahnhöfen oder an Plätzen angepöbelt oder angegriffen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte das Urteil. Es sei ein deutliches Zeichen, dass solche Straftaten nicht nur geächtet, sondern auch spürbar bestraft werden, sagte ein Sprecher.
Die Attacke steht exemplarisch für Courage und Gleichgültigkeit. Ein Tourist aus Bayern hatte den Schläger weggezogen und Schlimmeres verhindert. Doch niemand half ihm. Videokameras hatten aufgezeichnet, wie Reinigungskräfte vorbeilaufen, ohne etwas zu unternehmen. Hier laufen noch Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistung
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