»Mein Platz ist beim tragischen Volk«
Wieder Preis-Streit um Peter Handke
Düssel ist wirklich Dorf – wenn man darunter plustrige Engstirnigkeit versteht, die alles Größere, Freie verjagt. Kuhstall gegen Kühnheit. Mief also. Das ist Düsseldorf. Früher freilich eine Stadt – bis 2006, als der österreichische Dichter Peter Handke den Heinrich-Heine-Preis bekommen sollte. Die Stadtregierenden stimmten zu, dann zerschlugen sie die Würde des Preises, indem sie politisch korrekt einknickten: Einem Serben-Verteidiger keine Ehrung und keinen Euro! Düssel ist ein Dorf.
Und der Mief zieht von dieser Landeshauptstadt weiter nach Minden. Dort soll Peter Handke am 30. Oktober den Candide-Preis des dortigen Literarischen Vereins erhalten, 15 000 Euro – Geld erstmals aus den Händen eines Allein-Sponsors. Es handelt sich um den Weltmarktführer für Buchbindemaschinen, die Firma Kolbus.
Als die global umtriebigen Buchbinder von der Preis-Jury den Namen Handke hörten, traten sie unverzüglich den Beweis an, dass einer, der Bücher bindet, auf keinen auch automatisch über jenen Geist verfügen muss, der den besten Büchern entweht. Kolbus zog das Preisgeld zurück, denn nach Sprachart des Geschäftsführers sei der Österreicher ein »Schizopath«. Man fürchte Handelskonflikte speziell mit Geschäftspartnern aus den USA, wenn man einen Mann sponsere, der mit Milosevic Berührung hatte.
So also droht dem nächsten deutschen Literaturpreis der Kollaps. Wenn man sich die Namensgeber für hochdotierte und renommierte Ehrungen ansieht, von Kleist über Hölderlin bis Büchner, dann wächst eine traurige Gewissheit: Keiner von ihnen hätte, wo die Dussel vom Dorf das Sagen haben, die Chance einer Würdigung; so sehr diese einstigen Dichter und ihre Zeit sich von allem Heutigem unterscheiden – ihr Geist war Opposition, war Gegenstrom.
Der 1942 in Kärnten, an der Grenze zu Slowenien Geborene hält stetig hochmütige, hoch mutige Plädoyers für Serbien. Zorn wider den NATO-Angriff auf Kosovo machten ihn vor Jahren zum einsamen Intellektuellen. Er blieb unverschämt: indem er sich in keiner Äußerungssekunde verschämt verhielt. Er schrieb seine Hilflosigkeit beim Schauen auf die Welt nieder – Ohnmacht ist des Poeten Heldentum, und diese Schwäche hat Erhabenheit: »Mein Platz ist beim tragischen Volk«, sagt eine der Figuren im Stück »Die Fahrt im Einbaum oder das Stück zum Film vom Krieg«, 1999 von Claus Peymann in Wien uraufgeführt.
Der Krieg gegen das einstige Jugoslawien wurde Handke zur Metapher: der Ort, von dem wir alles wissen – aber nichts erfahren. Der Ort, von dem wir täglich alles erfahren – und nichts wissen. Ein Markt für Moral. Der Westen, die NATO, deren Propagandisten: »Diese Endzeit-Horde braucht für die Geschichte den einen Schuldigen und hat für sich selbst die Rolle des Guten bestimmt; hier, jetzt aber ist die Zeit aller Schuldigen, es ist das Land, oder Europa, oder die Welt der Allerschuldigsten – nur dass die einen Schuldigen zu Gericht sitzen über die anderen.« Das hört man nicht gern bei Kolbus und Co.
Handke übrigens hat niemals serbische Verbrechen geleugnet. Er lehnte auch einen Prozess gegen Slobodan Milosevic nicht ab. Nur lehnte er ab, ein Mörder- und Verbrecherbild weit vor dem Urteil zu akzeptieren. Er sah die Notwendigkeit der Wahrheitsfindung, aber er sah in Den Haag seit jeher »das falsche Gericht«. Als einer von 1600 Verteidigungszeugen war er benannt worden, er traf Milosevic, beobachtete den Prozess und kam zu dem Schluss, eine Zeugenschaft vor den Schranken dieses »Schuldspruch-Theaters« abzulehnen. Er zürnt gegen alle Täter-Opfer-Einseitigkeit, stur wie ein Ungepanzerter.
Der komischste Vertreter der Buchbindergilde war bislang Buchbinder Wanninger. Nun steht auch der dämlichste, hirnkrustigste fest: Kolbus aus Rahden bei Minden. Er hat Angst vor US-Kunden? Vielleicht banden die ja jene Bibeln, auf die US-Piloten schworen, bevor sie in Richtung Belgrad zogen.
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