Beharren auf christlichen Privilegien

Kirchen nehmen wie selbstverständlich Sonderrolle in Anspruch, die Politik lässt sie gewähren

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Erregung über den Papstboykott durch Abgeordnete des Bundestages geht unter, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung um offene Religionskonflikte in der Gesellschaft seit langem aussteht. Man kann hier wohl ebenfalls von Boykott sprechen.

So wie im Verhalten gegenüber dem Papst anlässlich seines Besuches – Begeisterung und Protest mit einigen Schattierungen dazwischen – zeigt sich das Grundverständnis gegenüber der christlichen Religion in der Bundespolitik auch, wenn der Papst nicht da ist. Dabei gibt es offene Konflikte zur Genüge. Beispiel eins: Der deutsche Staat zahlt den Kirchen sogenannte Staatsleistungen, die eine Entschädigung für Eigentumsübertragungen aus kirchlichem in weltlichen Besitz sind – ihre Ursache liegt Jahrhunderte zurück und ist immer wieder Anlass zu der Frage, welche Rechte die Kirchen daran tatsächlich noch haben. 460 Millionen Euro kosten diese den Steuerzahler derzeit jährlich, und damit sind nicht jene Leistungen inbegriffen, die die Kirchen zu Zwecken der Kultus- und Seelsorge, für soziale und kulturelle Angebote, für Sozialarbeit, Kindergärten, Schulen oder Denkmäler erhalten.

Seit Jahren ist diese Privilegierung der christlichen Kirchen Gegenstand von Medienberichten und politischen Debatten, ohne dass der Missstand je wirklich angegangen worden wäre. Dabei ist dies keine Frage des guten Willens, sondern ein gültiger Verfassungsauftrag, der schon 1919 in der Weimarer Reichsverfassung formuliert wurde und bis heute gilt. Also ein Muss. Das sollte man ebenso folgerichtig bei einem anderen Thema meinen, das gerade in den letzten Jahren des zunehmenden Terrorismuswahns öffentlich Wellen schlug.

Beispiel zwei: der sogenannte Gotteslästerungsparagraf. Als Karikaturen in skandinavischen Zeitungen Empörung in der muslimischen Welt auslösten, weil sie Allah zum Gegenstand der Satire machten, wurde dies in unseren Breiten unter Hinweis auf Meinungs- und Pressefreiheit mit höhnischer Arroganz betrachtet. In Deutschland aber galt und gilt der Paragraf 166 des Strafgesetzbuches, der die Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen und Vereinigungen unter Strafe stellt. Dass dies nicht auf Gefühle muslimischer Zeitgenossen zielt, zeigt sich im weiteren Wortlaut. Dabei wird als strafwürdig definiert, was »geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören«. Die subjektive Bewertung von Richtern, die in einer mehrheitlich christlich geprägten, regelmäßig von der Politik auf Linie einer christlich-jüdischen Leitkultur gebrachten Gesellschaft sozialisiert sind, dürfte für den Großteil aller Fälle auf der Hand liegen. So wurden Theaterstücke verboten, die sich mit der Jungfrauengeburt auseinandersetzten, Ermittlungsverfahren wegen der Darstellung eines gekreuzigten Schweins geführt – und keine Empörung über die Freiheit der Kunst konnte das verhindern.

Beispiel drei: In Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern der christlichen Kirchen gilt das Streikrecht nicht, fehlendes Tarifrecht führt zu Bezahlung unter dem üblichen Tarifniveau, Kirchenbedienstete werden unter Hinweis auf das Eingehen einer zweiten Ehe entlassen – all dies unter Berufung auf die privilegierte Stellung der Kirchen.

Nicht nur Gewerkschaften, wie derzeit ver.di auf einem Kongress in Leipzig, sondern auch Parteien wie die LINKE haben dies immer wieder thematisiert, Letztere in einem Gesetzesantrag, der die Grundrechte von Beschäftigten von Kirchen und deren Einrichtungen stärken will. Schon in der Debatte zur Ersten Lesung im Bundestag zeigte sich, mit welcher Unterstützung die LINKE aus anderen Fraktionen zu rechnen hat. Ihr religionspolitischer Sprecher, Raju Sharma, erntete die übliche Ablehnung, als er den Antrag begründete. »Das stimmt überhaupt nicht!«, lautete ein Zwischenruf von Peter Weiß (CDU) auf Sharmas Bemerkung, dass das jetzige Sonderarbeitsrecht es den Kirchen ermögliche, ihren Beschäftigten bis zu 30 Prozent niedrigere Löhne zu zahlen als üblich. Verweigerung gegen die Realität. Die Linksfraktion plant dennoch weitere Anträge – Beispiele sind genannt.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -