Was Information vermag

  • Harry Nick
  • Lesedauer: 3 Min.
»Das Internet wird die Wichtigkeit direkter menschlicher Nähe nicht mindern.«
»Das Internet wird die Wichtigkeit direkter menschlicher Nähe nicht mindern.«

Das Internet erschließt Wege von zu Haus zum Weltwissen und macht direkte Kommunikation im globalen Raum möglich. Wird es die Wichtigkeit direkter menschliche Nähe mindern? Und was bedeutet es für die Mechanismen der Demokratie? Die Parteien-Demokratie, die Volksvertretung legitimiert sich allein durch den praktischen Umstand, dass der Souverän, das Volk, sich nicht versammeln kann wie im Thing der alten Germanen. Es muss Vertreter ihres Willens delegieren. Aber »der Wille kann nicht vertreten werden«, sagte Rousseau. Die Vertreter dürfen nicht anderen Willen, auch nicht ihren eigenen, vertreten, sondern ausschließlich den ihrer Auftraggeber. Man könnte weinen bei solchen Worten. Was aber, wenn die praktischen Schranken eines allgemeinen, umfassenden Diskurses und schließlich auch individueller Willensbekundung durch Abstimmung aufgehoben sind? Das geschieht mit dem Internet. Auf den Prüfstand geraten auch das geistige Eigentum, das gesamte Urheberrecht.

Information ist an stoffliche Träger und Energie gebunden, enthält selber aber kein Yota Stoff und Energie. Und Information wird im Unterschied zu Stoff und Energie durch Gebrauch nicht vernutzt. Der Effekt der Ressource Information wird vor allem durch das Ausmaß ihrer Mehrfachnutzung bestimmt. »Wie mit den Naturkräften verhält es sich mit der Wissenschaft. Einmal entdeckt, kostet das Gesetz ... keinen Deut« (Marx). Das Gesellschaftswissen ist Allgemeingut. »Wissenschaftliche Arbeit, alle Entdeckung, alle Erfindung … ist bedingt teils durch Kooperation mit Lebenden, teils durch Benutzung der Arbeiten Früherer« (Marx). Alle aus wissenschaftlicher Arbeit resultierenden Erträge, die sinnvolle Prämien für Erfinder und Entdecker übersteigen, gehören der Allgemeinheit. Kostenloser Nahverkehr, wie ihn die Piratenpartei vorschlägt, muss andere Gründe haben als ökonomische, kostenlose Software aber nicht.

Es geht aber nicht nur um das Internet. Sicher nicht geringere Bedeutung, jedoch weniger beachtet, hat die durch Informationstechnik bewirkte Erneuerung der organisatorischen und technologischen Produktionsweise. Und hier wird leider mehr von angeblicher »technologischer Arbeitslosigkeit« als von den tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt geredet.

Fragen noch ganz anderen Kalibers erscheinen heute erst an fernen Horizonten: Wird »intellektuelle Technik« das intellektuelle Potenzial der menschlichen Spezies in vergleichbarer Komplexität erreichen und übertreffen?

Wir sollten mehr staunen und nachdenken über die Revolution, die der menschlichen Gattung nur einmal passieren kann: Es ist die Emanzipation aller Komponenten geistiger Arbeit – Wahrnehmung, Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Informationen – von den sich kaum verändernden biologischen Begrenzungen der menschlichen Spezies. Die Entfaltung dieser Revolution in Produktion, Kultur und Lebensweise befindet sich noch in den Anfängen. Der durch sie erzeugte Bedarf an politischen, sozialen und kulturellen Strategien ist riesengroß.

Hilfreich in der Debatte um Internet und Informationstechnologien sind auch alle Bemühungen, die Schlangenlinien zu verkürzen und zu verflachen, die in Über- und Unterschätzungen zur Wahrheit führen. Die Erfindungen der Schrift und des Buchdrucks erzeugten die Mühen des Lesen- und Schreibenlernens, bewirkten aber kein Ende der »mündlichen Kultur«; Rundfunk und Fernsehen führten nicht zum Ende des Buchzeitalters. Das Internet wird die Wichtigkeit direkter menschlicher Nähe nicht mindern.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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