Reine Leere
Weder »Signal« noch »Geste« – Benedikts Choreografie der Unerbittlichkeit
Die Hoffnung hielt sich bis zum Abflug am Sonntag. Ein »Signal«, eine »Geste« wenigstens sollte vom Heiligen Vater kommen, um den fiebrigen Erwartungsrausch, in den sich Kirchen, Politik und Medien über Monate versetzt hatten, nicht in totaler Ernüchterung aufzulösen. Doch Benedikt erhörte weder Bitten noch Betteln. Er absolvierte die Punkte seiner Deutschlandreise in einer Choreografie der Unerbittlichkeit. Es gab weder ein »ökumenisches Gastgeschenk« noch – der wohl bescheidenste Wunsch – einen Hinweis auf Zulassung wiederverheirateter geschiedener Katholiken zur Kommunion. Von anderen Utopien wie Frauenordination oder Priesterehe ganz zu schweigen.
Erstaunlich ist das ganz und gar nicht. Hatte doch Vatikansprecher Federico Lombardi bereits vor dem Besuch erklärt, Benedikt XVI. werde sich zu grundsätzlichen Fragen des Glaubens äußern, nicht aber isolierte Einzelfragen in den Mittelpunkt stellen. Die Zukunft der Kirche hänge nicht vom Zölibat oder von Priestern ab, sondern vom Glauben in Gott. Und die grundsätzlichste Frage ist und bleibt für den Papst die unbedingte Treue zu Rom. Was er bei der Messe auf dem Freiburger Flugplatz am Sonntag unmissverständlich formulierte: »Die Kirche in Deutschland wird für die weltweite katholische Kirche weiterhin ein Segen sein, wenn sie treu mit den Nachfolgern des heiligen Petrus und der Apostel verbunden bleibt.« Extra ecclesiam nulla salus. Außerhalb der Kirche kein Heil. Und die Kirche ist der Papst. Der »Sonnenkönig« lässt grüßen.
Allerdings: Signale gab es schon. Sie gingen aus vom deutschen Staat, seinen Verfassungsorganen und der Beflissenheit, die Verfilzung von Staat und Kirchen, von Politik und Religion öffentlich zu zelebrieren. So musste sich die Bundeskanzlerin in den Sitz der Deutschen Bischofskonferenz bemühen, um dort von einem Kirchenführer empfangen zu werden. Die Bundesverfassungsrichter, zu strikter religionspolitischer Neutralität verpflichtet, pilgerten gar in ein Priesterseminar, wo sie einem absoluten Monarchen aufwarteten.
Das interreligiöse katholisch-jüdische Treffen indes fand im Hause des säkularen deutschen Parlaments statt. Übrigens unmittelbar nach der Rede, in der Benedikt seinen Lieblingskirchenlehrer Augustinus (354-430) als Kronzeugen des Rechtsstaates zitiert hatte. Jenen Augustinus, für den die Juden »aufgerührter Schmutz« waren und der als erster Theologe auch den nach Jesu Zeit geborenen Juden dessen Tod anlastete.
Überhaupt war die Bundestagsrede Joseph Ratzingers Meisterstück während seiner Visite. Sie traf die versammelten Parlamentarier an ihrer empfindlichsten Stelle: dem Verlangen nach umgehender Interpretation. Dem entzog sich die akademische Ansprache jedoch, sodass viele der Anwesenden wohl oder übel einem Denkkonstrukt applaudierten, dessen Brisanz sie nicht erkannt hatten.
Nein, da sprach kein »grüner Schwarzer«, wie der Publizist Franz Alt meint, sondern ein römischer Theologe reinster Lehre, der seinem Auditorium die Bedeutung des »Naturrechts« verkündigte, das der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin als ewiges Recht sah. Als Recht, das Gott selbst in die Natur und den menschlichen Geist eingesetzt hat.
Die katholische Kirche sieht das bis heute so. Und leitet daraus unter anderem die Verurteilung von Homosexualität, die Zurücksetzung der Frau, rigide Sexualvorschriften sowie andere dem Menschenrechtsgedanken widersprechende Ge- und Verbote ab. Die stehenden Ovationen der Parlamentarier galten letztlich auch diesen Folgerungen. Das auf Anhieb zu erkennen, war zweifellos schwer. Aber es zeigt, dass es ebenso gefährlich sein kann, Ratzinger zu unterschätzen, wie naiv, ihn zu überschätzen.
Bereits vor Abreise des Pontifex begann die Politik, sich den Besuch schönzureden. So ist es für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) ein »ganz wichtiger Vorgang«, dass Benedikt »die Gemeinsamkeit des Glaubens von katholischen und evangelischen Christen betont« habe. – Verzweifeltes Suchen in der reinen Leere.
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