Kellnerin Ing. und Dr. Taxifahrer
Trotz Qualifizierungsmaßnahmen werden im Ausland erreichte Abschlüsse selten anerkannt
Die Ingenieurin als Kellnerin, der promovierte Physiker als Taxifahrer? In der Hauptstadt ist das keine Seltenheit – vor allem dann nicht, wenn der Abschluss im Ausland erworben wurde. »Vielen Leuten bringt ihre Qualifikation überhaupt nichts, weil sie nicht anerkannt ist«, sagt Sevilay Akbayir vom Jugendmigrationsdienst der Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO). Die Arbeit, die Menschen mit ausländischem Abschluss finden, liegt meist weit unter ihrer Qualifikation. »Dann arbeiten Akademiker im Bistro«, so Akbayir. Jungen Menschen, die noch nicht lange in Berlin sind, bietet die AWO in der Bildungsberatung »Garantiefonds Hochschule« konkrete Hilfe bei der Suche nach Sprachkursen oder Ausbildungsplätzen.
Laut Mikrozensus haben in Deutschland fast eine Million MigrantInnen in ihren Herkunftsländern studiert. Allerdings wird denen, die weder einen EU-Pass besitzen noch SpätaussiedlerInnen sind, ihr ausländisches Diplom erst gar nicht anerkannt. Hoch qualifizierte Fachkräfte trifft dies genauso wie Einwanderer mit ausländischem Schulabschluss. »Ein Abiturient aus der Türkei muss damit rechnen, dass ihm hier nur ein Realschulabschluss anerkannt wird«, kritisiert Sevilay Akbayir.
Aus ihrer Beratungspraxis weiß sie, wie vielfältig die Probleme der Betroffenen sind. Viele haben nicht die Kraft, sich über die nötigen zusätzlichen Qualifizierungsmaßnahmen zu informieren oder gar ihren Ausbildungsweg zu wiederholen. AkademikerInnen ohne deutschen Abschluss fallen entsprechend tief: Der Abstieg in den Niedriglohnsektor geht oft mit Armut einher, häufig haben sie noch andere existenzielle Sorgen. »Sie stehen unter einem ganz anderen Druck: der Aufenthaltsstatus, die Arbeit und oft ist die Ausbildung zu teuer.« Zwar erhebt das Land Berlin keine Studiengebühren für Bachelor- und Masterstudiengänge. Viele der Angebote für ausländische Studierende sind aber gebührenpflichtig. »Für weiterbildende Studiengänge und für weiterbildende oder studienvorbereitende Kurse dürfen Gebühren erhoben werden« – das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Bildung auf eine Kleine Anfrage zum Thema hervor.
Der FDP-Abgeordneten Mirco Dragowski hatte darin den Senat gefragt, wie es um die Qualifizierungsangebote für MigrantInnen mit ausländischem akademischen Abschluss in Berlin steht. Bildungsstaatssekretär Knut Nevermann verweist in der Antwort stellvertretend auf Fördermaßnahmen in Berlin. So werden im Rahmen des »Garantiefonds Hochschule« zugewanderte SekundarschulabsolventInnen, Studierende und AkademikerInnen individuell beraten. Ein anderes Projekt – AQUA (AkademikerInnen qualifizieren sich für den Arbeitsmarkt) – wendet sich an Zugewanderte mit Abschluss, die Arbeitslosengeld beziehen. Konkrete Fördermaßnahmen einzuleiten obliegt allerdings im Einzelfall dem Jobcenter oder der Agentur für Arbeit.
Dass, abhängig von lokalen Gegebenheiten, auch spezifische Projekte initiiert werden, zeigt der Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Das örtliche Jobcenter hat ein Projekt für Menschen aus Russland angestoßen. Es trägt den sperrigen Titel »Arbeit und Integration für russischsprachige Akademikerinnen und Akademiker mit Migrationshintergrund« und soll russischsprachigen Hochschulabsolventen zu einem, ihrem erworbenen Abschluss entsprechenden Job verhelfen. Die TeilnehmerInnen leben häufig schon seit zehn Jahren in Berlin, viele waren laut Knut Nevermann bisher »unterhalb ihrer Qualifizierung tätig«.
Ob solch kleinteilige Projekte ausreichen? Sevilay Akbayir ist skeptisch. »Das Hauptproblem bleibt die Anerkennung der Abschlüsse«, sagt sie. In anderen Ländern gebe es durchaus vielversprechendere Vorbilder: Zum Beispiel die Kompetenzzentren in Dänemark, wo der Ausbildungsstand geprüft und in die nationale Qualifikation übersetzt wird. Hier passiere hingegen viel zu wenig, meint Akbayir: »Deutschland hinkt da noch sehr weit hinterher.«
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