Wer von CCS profitiert
Erdölkonzerne sind in Nordamerika die größten Nutznießer der CO2-Verpressung
Die Verfeuerung fossiler Brennstoffe belastet die Erdatmosphäre mit immer mehr Treibhausgasen. 2010 wurde bei den CO2-Emissionen die Rekordmarke von 30,6 Milliarden Tonnen erreicht. Globale Erwärmung und Versauerung der Meere sind zu Begleiterscheinungen der Kohleverstromung geworden. Für die Beseitigung von CO2 aus Kraftwerken fehlt eine wettbewerbsfähige Technik.
Eine Ausnahme gibt es: Kohlendioxid wird seit den 1970er Jahren in Nordamerikas Erdölindustrie gewinnbringend eingesetzt. Zahlreiche ausgediente Bohrlöcher konnten dadurch reaktiviert werden. Das in Erdgas und Industrieemissionen enthaltene CO2 wird mit wässrigen Aminen oder mitttels Diffusionsmembranen abgeschieden und in erschlossene Erdöl-Formationen als Verdrängungsmittel gedrückt. Mehr als 6000 Kilometer CO2-Pipelines sind bereits zu diesem Zweck in den USA verlegt worden. Durch diese »verbesserte Ölförderung« (engl.: Enhanced Oil Recovery, EOR) werden 280 000 Barrel Erdöl pro Tag gewonnen, was rund sechs Prozent der Inlandsproduktion ausmacht. Mit einer Tonne injizierten Kohlendioxids können im Schnitt 3,6 Barrel zusätzlich aus dem Erdreich gepresst werden. In Texas sollen zukünftig mit 200 Millionen Tonnen CO2 1,5 Milliarden Barrel extrahiert werden, was einem äußerst hohen EOR-Verhältnis von 1:7,5 entspricht. In der kanadischen Provinz Saskatchewan wird mit Kohlendioxid aus einer Braunkohlevergasungsanlage im US-Bundesstaat North Dakota eine Förderquote von bis zu 1:6 erreicht. In der benachbarten kanadischen Provinz Alberta geht Ende 2012 eine 240 Kilometer lange »Carbon Trunk Line« in Betrieb. Bei diesem weltgrößten CCS-Projekt sollen pro Jahr bis zu 14 Millionen Tonnen industriellen CO2 aus der Provinzhauptstadt Edmonton an weiter südlich liegende Erdölfelder geliefert werden. Die vorgesehene Speicherung von insgesamt 450 Millionen Tonnen CO2 soll 1,4 Milliarden Barrel Rohöl aus den Gesteinsporen pressen.
Bei einer vom US-Energieministerium subventionierten Erkundung ist im Bundesstaat Kansas ein EOR-fähiges Erdölfeld mit einem Fördervolumen von bis zu 500 Millionen Barrel entdeckt worden. Der Ölförderer könnte pro Tonne Kohlendioxid, die er beim Kraftwerksbetreiber für weniger als 30 Dollar bezieht, Erdöl mit einem Marktwert von rund 300 Dollar produzieren. Nach US-Bergbaupraxis wird der Bodeneigentümer am Umsatz beteiligt, so dass lokaler Widerstand gegen die CO2-Einlagerung meist ausbleibt.
Die Kosten einer vollständigen CCS-Prozesskette werden derzeit in den USA auf 125 Dollar pro Tonne CO2 veranschlagt. Eine kostendeckende Finanzierung lässt sich daher erst mit EOR erzielen. Einige CCS-Vorzeigeprojekte haben sich als überteuert erwiesen, so ein Vergasungskraftwerk im Bundesstaat Illinois. Im Juli wurde auch das bekannte »Mountaineer«-Forschungskraftwerk in West Virginia vorzeitig stillgelegt, an dem einst RWE beteiligt war.
Die technologisch komplexen CCS-Anlagen unterliegen strengen Kostenvorgaben. Im Landkreis Kemper (Bundesstaat Mississippi) soll reichlich vorhandene Braunkohle zunächst in einem 582 Megawatt-Kraftwerk emissionsfrei vergast und die unerwünschten Abgase anschließend in Schwefelsäure und Ammoniak verwandelt werden, um den Strom- und CO2-Verkauf zu ergänzen. Ein chinesisches Partnerunternehmen prüft die Eignung des Verfahrens für minderwertige Kohle, die bis zu 40 Prozent nichtbrennbare Fremdstoffe enthalten kann. Das US-Energieministerium hat zudem im August die Subventionierung von 16 Forschungsprojekten bekannt gegeben, um durch innovative Verfahren die Energieverluste einer CO2-Abscheidung zu verringern.
CCS mag das öffentliche Gewissen über die klimaschädliche Kohlenutzung beruhigen. Die Emissionsbelastungen werden durch den Einsatz dieser Technologie aber nicht beseitigt, sondern teilweise nur verlagert. Gerade bei EOR führen sämtliche daran beteiligten Prozesse bis zum Kfz-Auspuffrohr dazu, dass fast die doppelten CO2-Mengen in die Erdatmosphäre gelangen, wie zuvor unterirdisch eingelagert worden sind.
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